Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
an den Germanen so schwer beeindruckt hatte, gehört bis dato zu den uns nachgesagten Eigenschaften. Und nicht zu Unrecht: In ihrer schlimmsten Ausprägung führte sie dazu, dass wir Deutschen einem Diktator in den Abgrund folgten und ihm bis zur letzten Stunde treu blieben, als das Grauen schon lange zu Gewissheit geworden war.
Aber auch im Guten sind die Deutschen treue Seelen, es dauert lange, bis sie eine Sache wirklich aufgeben. Freundschaften halten ewig, wenn es sie erst mal gibt. Setzten sich die Deutschen in den Kopf, für Abrüstung oder gegen Kernkraftwerke zu demonstrieren, so tun sie es jedes Jahr wieder, mehrere Jahrzehnte, bis das Ziel erreicht ist. Inzwischen weiß man auch, was es bedeutet, wenn sich Deutsche entschlossen haben, den Umbau eines Bahnhofs zu verhindern. Gegen diesen leidenschaftlichen Eifer hat man nicht die geringste Chance. In «Leidenschaft» sind die «Leiden» schon enthalten, und ohne Leiden machen wir Deutschen es nicht. Selbst bei reiner Zerstreuung, einem Fernsehabend, harren wir stundenlang vor dem Gerät aus, bis zum Ende der letzten Wette von «Wetten, dass..?». Als Tom Hanks dort zu Gast war, litt er sehr: In den USA würde jemand, der eine derart lange Sendung plant, sofort gefeuert, stöhnte er hinterher.
Doch zurück zu unseren Vorfahren: Ein weiteres Erbe, das sie in unseren Genen hinterlassen haben, ist die Abneigung gegen größere Siedlungen. In vielen sich entwickelnden Ländern der Welt haben sich Megastädte gebildet. In den Metropolen Seoul, New York und Mexiko-Stadt leben jeweils weit über 20 Millionen Menschen, in Tokio sogar fast 38 Millionen. Das ist uns Deutschen viel zu ungemütlich. Wir mögen es klein, und so soll es, vielleicht mal abgesehen von Berlin, auch bleiben. So weigern sich zum Beispiel die Mainzer, mit den Wiesbadenern auf der anderen Seite des Flusses zusammenzuwachsen. Wo kämen wir denn dahin, wenn sich zwei Stämme einfach so «durchmischen»?
Zahlenmäßig noch beeindruckender ist das Ruhrgebiet. Es könnte, als Ruhr-Stadt vereinigt, auf dem Metropolenparkett mittanzen, ja, wenn denn die Bereitschaft dazu vorhanden wäre – ist sie aber nicht. Hinter jedem Ortsschild beginnt die nächste mittelgroße Siedlung.
Noch dörflicher geht es im Industrie-Cluster rund um Stuttgart zu. Hier, zwischen Vaihingen und Nürtingen, zwischen Waiblingen und Böblingen, finden sich mehrere hundert Weltmarktführer, die ihre Produkte zum größten Teil in Dörfern erfinden und bauen. Diese Dörfer sind zwar zu einer gewissen Größe herangewachsen, und wie im Ruhrgebiet beginnt am Ende des einen Dorfes hinter dem Ortsschild schon oft das nächste, aber – es bleiben Dörfer. Es kann für uns Deutsche gar nicht klein und einfach genug sein.
«Sie wohnen in Slums!»
Auch der Brauch, Essen auf offenem Feuer zu garen, ist bis zu uns Neugermanen erhalten geblieben. Wir gehören zu den wenigen Nationen, die leidenschaftlich gerne grillen – was kann das anderes sein als eine Sehnsucht nach unseren Ursprüngen, wenn Männer Induktionsherd und Umluft-Backofen links liegenlassen, im Garten ein Feuer entfachen, rohes Fleisch über die Flammen hängen und dann, das halb verbrannte, halb rohe Teil kauend ausrufen: «Herrlich!»? Findet dieses Ritual auch noch in einem Kleingarten statt, ist die Reise zu unseren Wurzeln perfekt. Im Vergleich zu einer heutigen Gartenlaube war selbst das Langhaus der Germanen solider, und trotzdem zeugen zahlreiche Kleingartensiedlungen davon, wie sehr wir Deutschen das Laubenpieperdasein schätzen. Das erinnert mich an eine Fahrt nach Köln, auf der der Zug mitten auf der Strecke anhielt und mein Blick zwischen Bahndamm und Autobahn auf eine große Fläche von Kleingärten fiel, auf Lauben, schiefe Holzbaracken, Grundstückseinfriedungen aus Wellblech, auf zum Teil mit Plastikplanen abgedeckte Teerpappendächer. Der Reisende neben mir schaute entsetzt aus dem Fenster und zeigte mit dem Finger auf die Kolonie. Es war ein amerikanischer Tourist, wie sich später herausstellte. Er rief: «Slums!», und dann: «Slums in Germany! I can’t believe it!» Ich klärte ihn auf, dass dort niemand oder fast niemand fest wohne und die Lauben vielmehr zur Erholung am Wochenende aufgesucht würden. Aber das schockierte meinen Mitreisenden noch mehr: «They go in slums for the weekend?»
Was ich mit alldem sagen will: So furios, wie unsere kulturelle und technische Aufholjagd später auch werden sollte, vorstellen konnte sich das im
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