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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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schriftlichen Belege der angelsächsischen Sprache bescherte. In Canterbury, York und Winchester wurden Klöster gegründet, deren Schulen bald hoch gerühmt waren, und das Kloster zu Jarrow (unweit von Durham) und seine umfangreiche Bibliothek brachten den größten englischen Gelehrten dieser Epoche hervor: Beda Venerabilis, der zu den Kirchenvätern zählt und dank seiner historischen Schriften zu den wichtigsten Quellen über die angelsächsische Epoche.
    So hätten also in »Engla-Land« rosige Zeiten anbrechen können, doch die Angelsachsenchronik berichtet im Jahr 793 von furchtbaren Omen: Schreckliche Wirbelwinde und Blitze habe man am Himmel über Northumbria gesichtet, gefolgt von feurigen Drachen und einer Hungersnot, und am 8. Januar seien plündernde Heiden auf der Klosterinsel Lindisfarne eingefallen, hätten geraubt und gemordet und die Kirche zerstört, ehe sie wieder verschwanden.
    Dieses traumatische Erlebnis des ersten Wikingerüberfalls (vermutlich handelte es sich um Dänen) war der Beginn eines lange währenden Albtraums für die Angelsachsen, die ja schließlich besser als die meisten wussten, dass man an einer Küste landen, ein ganzes Land erobern und seine Einwohner vertreiben oder versklaven konnte, wenn man sich nur genug Mühe gab. Und die Dänen gaben sich Mühe: Wieder und wieder kamen sie mit ihren Schiffen über die Nordsee und überfielen die Klöster entlang der Küste und befahrbaren Flüsse, weil es gerade in den Klöstern so schön viel Gold und Silber zu rauben gab. Aber damit begnügten sie sich nicht lange. Im Laufe des 9. Jahrhunderts wurden aus den gelegentlichen Überfällen systematische Raubzüge gegen ganze Küstenstriche, unter denen die Bevölkerung unsäglich zu leiden hatte. 865fielen die Dänen mit einem großen Heer ein, und dieses Mal kamen sie endgültig, um zu bleiben: Sie eroberten Northumbria, East-Anglia und den nordöstlichen Teil Mercias. Erfolgreich Widerstand leisteten hingegen die Sachsen von Wessex, wo in diesen finsteren Zeiten die erste Lichtgestalt der englischen Geschichte hervortrat: König Alfred der Große.
    Angelsächsischer Helm aus dem 7. Jh., gefunden in der berühmten Ausgrabung von Sutton Hoo
    Alfred kam 848 oder 49 als jüngster von mindestens vier Söhnen des Königs von Wessex zur Welt, und weil er ja so viele große Brüder hatte, kam niemand auf den Gedanken, dass der kleine Alfred einmal König werden sollte. Durchaus möglich, dass er für eine kirchliche Laufbahn vorgesehen wurde – seinen Antrittsbesuch in Rom machte er jedenfalls mit fünf Jahren. Seine Mutter war eine belesene Frau und verstand es, in Alfred eine Liebe zur Literatur zu wecken, die für einen Mann seiner Epoche als höchst wunderlich galt.
    Die Zeiten waren kriegerisch und auch das Leben eines Königs schnell verloren – 871 waren Alfreds Vater und all seine Brüder tot, und so wurde der Zweiundzwanzigjährige unerwartet König von Wessex. Noch im selben Jahr errang er den ersten Sieg über die Dänen, und 878 schlug er sie bei Edington so vernichtend, dass dem dänischen König Guthrum nichts anderes übrig blieb, als sich entgegen seiner Gewohnheit an das anschließende Friedensabkommen zu halten und sich nach Norden zurückzuziehen. Um seinen guten Willen zu beweisen, ließ er sich sogar taufen.
    Es ist seltsam, dass ausgerechnet Alfred die wilden Nordmänner das Fürchten lehrte, denn er war kein gewaltiger Recke, sondern ein kränklicher Intellektueller. Er litt an so ziemlich jedem damals bekannten Gebrechen und auch an unbekannten – Morbus Crohn, zum Beispiel, wird heute vermutet. Eine besonders heftige Attacke überfiel den Ärmsten am Tag seiner Hochzeit, was manche als Indiz dafür werten, dass er sich eigentlich zu einem Leben für Gott verpflichtet oder berufen fühlte. Fünf Kinder bekamen er und seine Frau Ealhswith trotzdem.Alfred war nicht daran gelegen, den Dänen ein knappes Jahrhundert wiederholter Überfälle heimzuzahlen, sondern vornehmlich am Wohlergehen der Engländer. Und Alfred war Realist. Darum schloss er einen Friedensvertrag mit den Dänen, der ihnen die nordöstliche Hälfte Englands, die sie sowieso schon besetzt hielten, als eigenes Territorium zugestand. Dort konnten sie nach Herzenslust siedeln und nach ihren eigenen Gesetzen leben. Nach und nach gewöhnten die dänischen und angelsächsischen Nachbarn sich aneinander, trieben Handel und begannen zu verschmelzen. Das war nicht einmal so schwierig, denn ihre Sprachen und

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