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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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etwas gereizt, teils weil ihn das Pastor Schultzische Papsttum direkt verdroß, teils weil ihn die Haltung der beiden ihm vorgesetzten Ärzte, das mindeste zu sagen, nicht recht befriedigte. Dazu kam auch wohl noch die Vorahnung beziehentlich Gewißheit, daß er
die,
denen er sich jetzt unterstellt sah, sehr bald überflügeln würde. Dem nachzuhängen wäre nun gewiß sein gutes und für mich unter allen Umständen sehr unterhaltliches Recht gewesen, aber weil er bei seinen großen Vorzügen – seine größte Eigenschaft, fast noch über das Ärztliche hinaus, war seine Humanität – doch eigentlich was Philiströses hatte, so verstand er es nicht, seinen Unmut grotesk-amüsant zu inszenieren. Er hatte keine Spur von Witz und Humor und entbehrte alles geistig Drüberstehenden. Er wurde nur groß, wenn er das Seziermesser in die Hand nahm.
    So Wilms. Er war nicht interessant. Aber das war freilich auch das einzige, was sich gegen ihn sagen ließ, während es mit dem Inspektor auf manch ernsterem Gebiete bedenklich stand. Er hatte das rosige, gut rasierte Glattgesicht der Frommen, dazu auch die verbindlichen Manieren, deren sich diese zwar nicht immer, aber doch meist befleißigen. Insoweit wär' es also mit ihm sehr gut auszuhalten gewesen. Aber er war ein Scheinheiliger comme-il-faut – Gott sei Dank der einzige, den ich in Bethanien kennengelernt habe –, und wenn er mit feinem Ohr hörte, daß spät am Abend noch die Oberin, Gräfin Rantzau, auf seinem Korridor erschien, um vor Nachtzeit noch einmal das Haus abzupatrouillieren, so begann er in seinem Zimmer auf und ab zu rutschen und Gott mit erhobener Stimme anzurufen, ihm seine Sünden zu verzeihen und wieder in Gnaden anzunehmen. Ob die Gräfin in diese Falle ging, weiß ich nicht; ich glaub' es aber kaum, denn sie war klug und kannte die Menschen.
    Übrigens medisierten Wilms und ich, ich natürlich voran, bei unsren gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten mit nie aussetzender Regelmäßigkeit und erzählten uns die bedenklichsten Geschichten, bei denen sich das Gesicht des Inspektors immer verklärte. Weiter ging er aber nicht. Er selber stimmte nicht ein, begnügte sich vielmehr, das eben Gehörte nach Spitzelart weiter zu melden. Solche Gestalten sind jetzt im Verschwinden; er vertrat noch ganz den alten Komödiantentartüff, den man schon merkt, noch eh er um die Ecke gebogen. Die heutigen sind viel gefährlicher, weil sie gröber auftreten. Und Grobheit gilt nun mal für gleichbedeutend mit Rechtschaffenheit und Wahrheit. Grobheit hat etwas Sakrosanktes. Aber zurück zu unsrem Inspektor! Er ist mir durch manche wunderliche Szene noch lebhaft in Erinnerung, am meisten durch einen »Refus«, zu dem er freilich, einem vorhandenen Reglement entsprechend, nicht bloß berechtigt, sondern sogar gezwungen war, was nicht ausschließt, daß er diesem Reglement auch
gern
gehorchte. Dafür sorgte seine kleinliche Natur. Und so kam es denn, daß er, als ich meine zwei Zimmer einrichten wollte, gegen jede die Wandfläche schädigende Handlung, also ganz besonders gegen jeden
einzuschlagenden Nagel
feierlich Protest einlegte, sich dabei auf den »Herrn Baurat« berufend, der dergleichen verboten und jedes neue Nageleinschlagen von seiner vorgängigen Erlaubnis abhängig gemacht habe. Wir alle: Dr. Wald, Wilms und ich, wahrscheinlich auch die andern Bewohner des Hauses, waren über diesen ungeheuren Blödsinn dermaßen empört, daß wir höheren Orts anfragten, »ob sich das wirklich so verhalte«. Worauf man uns achselzuckend mitteilte: »Ja, das sei so.« Ganz neuerdings ist mir ein Akt ähnlich ridiküler Baumeistertyrannei zur Kenntnis gekommen, so daß also derlei Dinge nicht Spleen oder Anmaßung eines einzelnen, sondern, namentlich bei Staats- und öffentlichen Bauten, ein gut preußisches Herkommen zu sein scheinen. Ich schicke dabei voraus, daß ich ein Baumeisterschwärmer bin, etwa wie die meisten Menschen Oberförsterschwärmer zu sein pflegen. Einzelne Berufe sind eben bevorzugt. Aber das mit dem nicht »einzuschlagenden Nagel« oder gar – wie in dem zweiten Falle – das Verbot eines an einer höchst fragwürdigen Kasernenbaufront anzubringenden Fensterladens ist mir denn doch zuviel gewesen. Da spricht man immer von Maleranmaßung, wenn irgendwo ein unglücklicher Pittore glaubt, sich gegen eine von Pater familias gewünschte Farbenungeheuerlichkeit auflehnen zu müssen, oder man eifert auch wohl gegen den Eigensinn und Dünkel eines armen

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