Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
frei. Selbst dem gefürchteten Schultz gegenüber – den wir gewöhnlich »Konrad von Marburg« nannten – bezeigte sie sich voll Mut, immer wissend, wie weit auch ihr ein Recht zur Seite stünde. Dabei ganz Hannoveranerin, in allen Vorzügen, freilich auch in bestimmten kleinen Schwächen. Unter den vielen klugen und charaktervollen Damen, die ich das Glück gehabt habe in meinem Leben kennenzulernen, steht sie mit in erster Reihe. Während ich den Lehrer spielen sollte, habe ich viel im Umgange mit ihr gelernt. Sie war hervorragend.
    Die jüngere Dame, Fräulein Aurelie von Platen, war das Widerspiel der älteren und nur darin ihr gleich, daß sie einen völlig andern Frauentypus in gleicher Vollkommenheit vertrat. Sie war, wenn nicht sehr hübsch, so doch sehr anmutig, ganz weiblich, und glich in ihrem schlichten rotblonden Haar und den großen Kinderaugen einem aus dem Rahmen herausgetretenen Präraffaelitenbilde. Was Schwester Emmy durch Geist und Energie zwang, erreichte Schwester Aurelie durch stillere Gaben. Auch in diesen stilleren Gaben, wie in aller Liebe, lag etwas Zwingendes, und so ist es denn gekommen, daß beide Damen auf der Diakonissinnenleiter hoch emporgestiegen sind. Beide wurden Oberinnen. Aurelie von Platen lebt noch als Oberin zu Sonnenburg. Sie gehörte übrigens nicht zu den hannöverschen Platens, sondern zu den ostpreußischen.
    An dem ersten Begegnungstage kam es noch zu keiner »Wissenschaftlichkeit«, vielmehr wurde nur festgesetzt, daß die Stunden am nächsten Nachmittag beginnen sollten. Und zur festgesetzten Zeit erschien ich denn auch, ein beliebiges Buch in der Hand, drin ich einen kleinen Zettel, mit ein paar Notizen darauf, eingelegt hatte. Diese Notizen enthielten mein Programm, nach dem ich vorhatte, zunächst von Pharmakologie zu sprechen und daran anschließend, und zwar am ausgiebigsten, von Chemie. Botanik sollte bloß gestreift, Mineralogie noch leiser berührt werden. Physik fiel aus guten Gründen aus.
    Es ging alles ganz vorzüglich, was an dem guten Willen und der großen Gelehrigkeit meiner zwei Schülerinnen lag. Aber ein bestimmtes Verdienst kann ich mir doch auch selber zuschreiben, und zwar
das
Verdienst, daß ich selber so wenig wußte. Das ist in solchem Falle, wie der meinige war, immer ein großer Segen. Je weniger man weiß, je leichter ist es, das, was man zu sagen hat, in Ordnung und Übersichtlichkeit zu sagen. Und darauf allein kommt es an. Natürlich ist durch eine so simple Prozedur kein Gelehrter heranzubilden, aber für Anfänger, bei denen es doch nur auf Introduktion und Orientierung ankommen kann, ist das Operieren mit einem ganz kleinen, aber übersichtlich angeordneten Material das beste. Das Ende krönte denn auch das Werk; beide Damen bestanden ein Jahr später nicht nur das Examen vor einer eigens dazu berufenen Kommission, sondern Emmy Danckwerts war auch geradezu das Staunen der Examinatoren. Sie verdankte das zu Neunzehnteln sich selbst, aber ich hatte sie doch auf den rechten Weg gebracht und vor allem alles vermieden, was sie hätte langweilen und abschrecken können.
    Meine Vortragsweise, wenn ich meiner Art zu sprechen diesen Namen geben durfte, war die plauderhafte, drin das Wissenschaftliche nur so nebenherlief, während ich beständig Anekdoten und kleine Geschichten erzählte. So beispielsweise beim Sauerstoff, mit dem ich anfing. Ich berichtete von seiner Entdeckung und daß er beinah gleichzeitig von drei Nationen, und wenn man den in Schwedisch-Pommern lebenden Scheele als Vertreter von Schweden
und
Deutschland gelten lassen wolle, sogar von
vier
Nationen entdeckt worden sei. Dann fing ich an hervorzuheben, daß am Sauerstoff immer das Leben hinge. Schon gleich nach seiner Entdeckung habe man das auch gewußt, und als König Friedrich Wilhelm II. in seinem wassersüchtigen Zustande vielfach von Erstickung bedroht gewesen sei, da habe man ihm allabendlich ein paar mit Sauerstoff gefüllte Schwimmblasen ans Bett gelegt, und immer, wenn die Atemnot am größten gewesen, hab' er sich mit Hülfe des Sauerstoffs eine Linderung verschaffen und wieder leichter aufatmen können. Noch jetzt, wenn durch Grubengas vergiftete Arbeiter aus den Pariser Katakomben wie tot heraufgebracht würden, bringe man sie mit Sauerstoff wieder zum Leben, und ebenso würden Scheintote durch in die Lunge gepumpten Sauerstoff wieder in Ordnung gebracht. In dieser Weise ging das auf jedem Gebiet. Beim Wasserstoff, nachdem ich ihn hergestellt und zum

Weitere Kostenlose Bücher