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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Ergötzen meiner Schülerinnen verpufft hatte, kam ich schnell auf die Luftballons und gab ein halbes Dutzend Aeronautengeschichten mit fabelhaften Gefahren und noch fabelhafteren Rettungen zum besten, und wenn ich im weitren Verlauf meiner Vorträge die Kohlenwasserstoffgase glücklich erreicht hatte, ging ich rasch zu den Kohlenbergwerken über und erzählte eine halbe Stunde lang Schreckensgeschichten von den schlagenden Wettern und von der sogenannten »Sicherheitslampe«, die eigentlich eine Unsicherheitslampe sei, weil der bodenlose Leichtsinn der Bergleute mehr Gefahr dadurch heraufbeschwöre als beseitige. Wenn ich Kleines mit Großem vergleichen darf, so verfuhr ich etwa so, wie zwanzig oder dreißig Jahre später Huxley in seinen öffentlichen Vorlesungen über derlei Dinge verfuhr. Es wiederholt sich immer wieder, daß die höchste und die niedrigste Wissenschaft denselben spielerischen Weg einschlagen, der Meister, weil er
will,
der Stümper, weil er
muß
.
    Das Zimmer, worin diese Vorträge stattfanden, war das neben der Apotheke gelegene Wohnzimmer Emmy Danckwerts und bezeigte durch seine ganze Einrichtung, daß seine Bewohnerin eine exzeptionelle Stellung einnahm. In verschiedenen Truhen und Wandschränken war nicht bloß der Inhalt einer Speisekammer, sondern auch eine ganze Wirtschaftseinrichtung untergebracht, und mit Hülfe des einen und des andern übte die Diakonissin hier eine großartige Hospitalität. Ich war ihr Lehrer, aber vor allem auch ihr Gast. Während ich sprach und sie zuhörte, machte sie zugleich die Wirtin, und ich wurde, wie wenn ich ihr Besuch im Pfarrhaus auf der Lüneburger Heide gewesen wäre, mit Kaffee, Butter und Honig bewirtet oder an heißen Tagen auch mit Erdbeeren, Selterwasser und Wein. Sie bestritt das alles aus ihren privaten Mitteln, nur um sich und mir die Freude dieser Gastlichkeit zu gönnen. Und dann unterbrachen wir Lektionsplan und Stundenvorschrift und plauderten eine halbe Stunde lang über Dinge, die mit Chemie herzlich wenig zu schaffen hatten, und ließen dabei unsre Umgebung bez. unsere Vorgesetzten Revue passieren, erst die Ärzte, dann den Inspektor – über dessen Frömmigkeit wir gemeinschaftlich lachten – und verstiegen uns auch wohl zur Oberin, ja bis zu »Konrad von Marburg«. Alles natürlich sehr vorsichtig. Meine Partnerin war außerordentlich fein geschult, und jeder wird an sich selber die Erfahrung gemacht haben, daß der feine Ton andrer auch seiner eignen Sprechweise zugute kommt.
    Ohne solche Führung war ich immer ziemlich unvorsichtig.
     
Drittes Kapitel
     
Wie mir die bethanischen Tage vergingen
    Mein Leben mit den zwei Diakonissinnen war ein Idyll, wie's nicht schöner gedacht werden konnte: Friede, Freundlichkeit, Freudigkeit. In ruhigen Tagen, soviel muß ich zugestehen, wär' es mir des Idylls vielleicht zuviel geworden, aber daran war in der Zeit vom Sommer 48 bis Herbst 49 gar nicht zu denken, und was Th. Storm in einem seiner schönsten Gedichte von seinem Kätner auf der schleswig-holsteinischen Heide singt:
     
    Kein Ton der aufgeregten Zeit
    Drang noch in seine Einsamkeit
     
    – das war so ziemlich das letzte, was von meinem damaligen Leben gesagt werden konnte. Rings um mich her erklang beinah unausgesetzt der »Ton der aufgeregten Zeit«. Wie schon erzählt, gleich am Tage meines Einzugs in Bethanien, bataillierte die Bürgerwehr auf dem Köpnicker Felde, dann stürmte das Volk das Zeughaus, und dazwischen hieß es abwechselnd: »Die Russen kommen« und dann wieder: »Die Polen kommen«. Ersteres war gleichbedeutend mit Hereinbrechen der Barbarei, letzteres mit Etablierung der Freiheit. Dann erschien allerdings Wrangel, und ein paar stillere Monate folgten; aber mit dem Frühjahr war auch der Lärm wieder da: Dresden hatte seinen Maiaufstand, in Paris tobte die Junischlacht, und in Baden unterlag die Sache der Aufständischen erst nach mühsamlichen Kämpfen. Es gab kaum einen in ruhiger Alltäglichkeit verlaufenden Tag, und dies Widerspiel von Lärm da draußen und tiefster Stille um mich her gab meinem bethanischen Leben einen ganz besondren Reiz. Zugleich unternahm ich es bei bestimmter Gelegenheit, zwischen diesen Gegensätzen zu vermitteln oder richtiger Schritte zu tun, als ob diese Gegensätze gar nicht vorhanden wären. Daß ich mich dabei durch Bonsens und Takt ausgezeichnet hätte, kann ich leider nicht sagen. Ich las eines Morgens in einer Zeitung, daß eine »Tagung der äußersten Linken« geplant

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