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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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so daß uns die Luft beinah trug und das Marschieren keine Mühe machte. Faucher hatte seinen besten Tag und sprudelte nur so, wobei mir, nebenherlaufend, die Bemerkung gestattet sein mag, daß ich, mit Ausnahme von Bismarck – von diesem dann freilich in einem guten Abstand –, keinen Menschen zu nennen wüßte, der die Gabe geistreichen und unerschöpflichen Plauderns über
jeden
Gegenstand in einem so eminenten Grade gehabt hätte wie Faucher. Er schwatzte nie bloß darauflos, jeder Hieb saß. Ein paar Sätze sind mir noch von jenem Spaziergange her in Erinnerung geblieben. Wir sprachen von Berlin, und ich erzählte grade von einem neuen »volkstümlichen Unternehmen«, von dem ich den Tag vorher in der Vossischen Zeitung gelesen hatte. »Das kann nichts werden«, replizierte Faucher, »
in Berlin glücken immer nur Sachen, die 'n Groschen kosten
.« Ein Satz von stupender Weisheit, der au fond auch heute noch richtig ist. – Im weitren Lauf unsres Gesprächs vom Hundertsten aufs Tausendste kommend, kamen wir auch auf das Thema: Kunstdichtung und Volkslied. Faucher, ganz seiner Natur entsprechend, schwärmte selbstverständlich für alles Volksliedhafte, besonders auf dem Gebiete des Kriegs- und Soldatenliedes, und plötzlich seinen Schritt anhaltend und sich in Positur setzend, hob er mit Aplomb und ganz strahlend vor Vergnügen an:
     
    »Und wenn der große Friedrich kommt
    Und klopft bloß auf die Hosen,
    Reißt aus die ganze Reichsarmee,
    Panduren und Franzosen, – –
     
    sehen Sie, Fontane, das ist was, das hätte selbst unser großer Maron nicht gekonnt! Und wenn ich dann gar erst an Vater Gleim denke! Gott, was würde der alte Halberstädter Kanonikus für'n Gesicht gemacht haben, wenn man ihm vor hundert Jahren gesagt hätte, dieser eben von mir zitierte Gassenhauer würde seine sämtlichen Grenadierlieder um etliche Menschenalter überdauern. Und doch ist es so. Gleim ist vergessen. Volk, Volk; alles andre ist Unsinn.«
    Unsre Spaziergänge bis weit in Surrey hinein dauerten durch das ganze Frühjahr siebenundfünfzig hin, und als wir endlich auch damit abschlossen, wandten wir uns
dem
zu, was Fauchers recht eigentlichste Domäne war, den über die ganze City hin verbreiteten »Debating Clubs«. Die meisten befanden sich in Fleet-Street und ein paar engen Nachbarstraßen, also in dem verhältnismäßig kleinen Quartier zwischen Temple-Bar und Ludgate Hill – ein paar andre waren in Grays Inn Lane. Wie's da herging, das war überall dasselbe. Tisch' und Stühle sehr primitiv; man bestellte sich Stout oder pale ale oder Whisky und dazu einen Mutton-chop oder welsh rabbit – walisisches Kaninchen –. Dieses »walisische Kaninchen« entsprach unserm »falschen Hasen«. Denn von Kaninchen stand nichts drin, vielmehr war es eine mit Chesterkäse belegte Weißbrotschnitte, die aber derart gebacken war, daß Käse und Weißbrot eine höhere Einheit bildeten. Es schmeckte sehr gut, war aber ungesund. Und während man sich's schmecken ließ, erschien in Front der Gesellschaft der Kneipenredner von Metier, um die Debatte des Abends einzuleiten. Ich bin diesen Rednern immer sehr aufmerksam und sehr teilnahmsvoll gefolgt, denn es waren immer gescheiterte Existenzen, die sich durch diese ihre stets mit Würde, ja manchmal sogar mit »sittlicher Empörung« vorgetragenen Reden ihren Lebensunterhalt verdienen mußten. Manchem sah man an, daß er, der vielleicht drauf und dran gewesen war, ein berühmter Advokat oder ein Parlamentarier zu werden, nun sich dazu hergeben mußte, bloßen Durchschnittsphilistern ein Stücklein ihm selber lächerlich erscheinender politischer Weisheit vorzutragen. Wie sich denken läßt, modelte sich der Vortrag dieser Leute sehr nach dem Publikum, das sie vor sich sahen. War ich beispielsweise mit ein paar Spießbürgern aus der Nachbarschaft ganz allein da, so war ich Zeuge, wie leicht der Redner es nahm; von dem Moment an aber, wo Faucher erschien und sich neben mich setzte, belebte sich das Gesicht des »Debaters«, und es war sichtlich, daß er sein Lied »auf einen höheren Ton« zu stimmen begann. Nur sehr ausnahmsweise war Faucher in der Laune, das zur Debatte stehende Thema seinerseits aufzunehmen und weiterzuspinnen, wenn es aber geschah, so war es jedesmal ein Triumph für ihn, und der mehr oder weniger in die Enge getriebene Fachredner war klug genug, sich dem Enthusiasmus der Versammlung anzuschließen. Faucher sprach bei diesen Gelegenheiten immer sehr gut und witzig,

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