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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sich, dieselbe Unfehlbarkeit und, schrecklich zu sagen, auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm trotz des Lebenszeichens, das er freundlicherweise gab, doch eigentlich gleichgültig; er nahm nur an – er hatte wohl irgendwo die Glocken läuten hören –, daß ich auch ein »Moderner« oder wenigstens ein von Modernität Angekränkelter sei, und sah nun von seinem auf Achim von Arnim und Clemens Brentano – die übrigens auch von mir bis auf diesen Tag aufs herzlichste verehrt werden – aufgebauten Hochstandpunkt aus lächelnd auf mich und die andern im Moorgrund zappelnden Gründlinge hernieder, während
er,
die reine Luft um sich und den Himmel über sich, die guten alten Lerchen ins Blaue steigen sah. Einige davon hatte er eingefangen. Das waren die dem Briefe beigeschlossenen Lieder. Alle ganz gut, aber ohne jedes entzückende Tirili.
     

»Mein Leipzig lob' ich mir«
     
Erstes Kapitel
Winter 1840 auf 1841. Drei Monate in Burg. Krank bei Fritz Esselbach. Ankunft in Leipzig.
    Im Herbste 1840 verließ ich Berlin und ging zunächst nach Burg, einer ansehnlichen Stadt, von der trotzdem »niemand nichts weiß«. Oder doch nicht viel. Die Nähe Magdeburgs hat es von Anfang an in den Schatten gestellt. In einem alten weitschichtigen Eckhause, weißgetünchter Fachwerkbau, fand ich meine neue Heimstätte, die zunächst was Grusliges hatte. Dieses Gruselgefühl steigerte sich noch eine Zeitlang unter dem Eindruck, den das Renommee des Besitzers auf mich machen mußte. Von diesem hieß es nämlich, daß er sehr jähzornig sei, ja sogar infolge dieses seines Jähzornes ein Säbelduell mit einem der Burger Garnison angehörigen Artilleriehauptmann gehabt und diesen schwer verwundet habe, lauter Mitteilungen, die meine Sicherheit etwas gefährdet erscheinen ließen. Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende Dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant und erheiterte sich über die Maßen, als ich ihr aus einem in den zurückliegenden Wochen geschriebenen Epos »Burg an der Ihle« den ersten Gesang mit einem gewissen humoristischen Pathos vortrug. Ich schwärmte damals wie für Lenau so auch für Anastasius Grün, und in starker Anlehnung an die »Spaziergänge eines Wiener Poeten« hatte ich meinen Aufenthalt in Burg in den denkbar stattlichsten und zugleich von kleinen Nichtsnutzigkeiten strotzenden achtfüßigen Trochäen besungen. Unter meinen Manuskripten existieren diese Trochäen noch, hellgrün gebunden und mit einer breiten Goldborde eingefaßt; ich habe aber doch nicht den Mut gehabt, sie noch wieder durchzulesen.
    In Berlin empfing mich mein alter Freund Fritz Esselbach, derselbe, von dem ich in Kapitel zwei des ersten Abschnittes erzählt habe, und führte mich in seine Wohnung, eine Chambre garnie in der Alten Jakobsstraße. Da wollte ich eine Woche lang sein Gast sein. Am dritten Januar früh saßen wir denn auch behaglich beim Frühstück und delektierten uns eben an jenem eigentümlichen Berliner Gebräu, dessen erste Bekanntschaft einem Fremden, seiner Wirtin gegenüber, die Bemerkung aufgedrängt haben soll: »Ja, liebe Frau, wenn das Kaffee war, so bitte ich morgen um Tee, wenn es aber Tee war, so bitte ich morgen um Kaffee.« Gegen neun kam die Zeitung, und ein Zufall wollte, daß mein

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