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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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– alles gewann mir ein Interesse ab, und selbst der Blick in den Alkoven konnte mich nicht umstimmen.
    Es stand mir aufs neue fest, daß es mir hier gut gehen würde.
    Und es ging mir auch gut.
     
Zweites Kapitel
     
Der andere Morgen. Die Kollegenschaft und die Familie Neubert. Frühmorgens bei Kintschy. Die Doktorbörse. Dr. Adler und meine Freundschaft mit ihm. Herbsttage auf dem Leipziger Schlachtfeld
    Am andern Morgen erschien ich unten in der Offizin, einer hohen, früher mutmaßlich gewölbt gewesenen Halle, die fast einem Refektorium glich. Der Raum erstreckte sich weit nach hinten zu, war in seiner zweiten Hälfte halb dunkel und machte, wie Haus und Hof überhaupt, einen mittelalterlichen Eindruck.
    Durch die ganze Tiefe zog sich der sogenannte Rezeptiertisch mit seinen vier Plätzen. Den ersten Platz nahm der etwas dickliche ältere Herr ein, der mich am Tage vorher empfangen hatte; Platz Nummer zwei (für mich bestimmt) war leer, auf Nummer drei und vier aber standen zwei junge Herren meines Alters, ein schwarzer und ein blonder, beide, wie auch der Herr auf Nummer eins, ausgesprochene Sachsen. Man begegnete mir sehr artig, freilich auch mit Zurückhaltung, fast Soupçon, denn der jetzt Gott sei Dank leidlich hingeschwundene Gegensatz zwischen den beiden Nachbarstämmen stand damals noch in voller Blüte. Meine neuen Kollegen merkten indessen sehr bald, daß ich nicht zu den Schlimmen zählte, namentlich nicht besserwisserig und eingebildet war, und so kamen wir schließlich auf einen ganz guten Fuß. Das Jahr, währenddessen ich in Leipzig verblieb, ist ohne jede Ranküne verlaufen, und ich will hier gleich einschalten, daß ich, durch einen hübschen Zufall, grad als ich diese Leipziger Erinnerungen niederzuschreiben anfing, einen Brief mit photographischem Bildnis aus Dresden erhielt und der Widmung: »Seinem lieben Jugendfreunde Th. Fontane.« Den der Sendung beigeschlossenen, von »Platz Nummer vier« herrührenden Zeilen konnt' ich zu meiner besonderen Freude entnehmen, daß auch »Platz Nummer drei« noch am Leben und durchaus munter sei. Nicht leicht wird es vorkommen, daß drei junge Leute, die mit einundzwanzig an einem und demselben Tisch gestanden und gearbeitet haben, sich mit fünfundsiebzig noch freundlich und fidel begrüßen können.
    Ich war noch kaum installiert, als ich von einem schon im Hofflügel gelegenen Hinterzimmer her meinen Gönner und nunmehrigen Prinzipal Neubert in unser »Refektorium« eintreten sah. Ich dachte, er käme mich zu begrüßen; aber er begnügte sich damit, mir freundlich zuzunicken und mir zweimal einen »guten Morgen« zu wünschen. Und dann war er auch schon durch die Fronttür wieder verschwunden. Der ganze Geschäftskram war ihm höchst langweilig, und nun gar erst Klagen oder Wünsche mit anhören! Er war der reine Mikado. Das Mühselige des Regierens überließ er seinem Taikun, dem dicklichen Herrn auf »Platz Nummer eins«.
    Ich sah wohl, daß hier alles anders war, war aber doch noch zu sehr in den herkömmlichen Anschauungen befangen, um in meinem Tun gleich das Richtige zu treffen oder auch nur alles klug abzuwarten. Und so geschah es denn, daß ich mich gegen Mittag, unbekümmert um das verlegene Lächeln meiner Kollegen, eine Treppe hoch begab, um dort, wie ich's eigentlich schon am Tage vorher gewollt hatte, der Frau vom Hause meine Visite zu machen. Sie kam mir auch in ihrer ganzen Stattlichkeit vom Erkerfenster her entgegen und beantwortete meine Begrüßung in freundlichen Worten; aber damit war es auch getan, und so rasch, wie ich gekommen, so rasch verschwand ich wieder. Ich habe sie dann, in einem ganzen langen Jahre, wohl dann und wann gesehn, aber nie wieder gesprochen. Auch nicht beim Abschied. Jetzt nachträglich finde ich das alles nicht bloß ganz vernünftig, sondern betrachte es, wie schon angedeutet, als das einzig Richtige. Nur keine Gemütlichkeiten! Es gab aber doch auch davon, und daß sich das ermöglichte, war ein Verdienst der Kinder. Es war ein kinderreiches Haus, sechs oder sieben Töchter, von denen zwei (Zwillingsschwestern) damals fünfzehn Jahre sein mochten, die eine ganz brünett, die andere ganz blond. Die Blonde war sehr hübsch; die Brünette weniger, aber dafür sehr apart, sehr rassevoll und Liebling des Vaters, der sie seine »schwarze Jette« nannte. Mein eigentlicher Liebling indes war eine jüngere Tochter, erst zehn- oder elfjährig, von besonders liebenswürdigem Charakter. Eine gütige, ganz

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