Von Zwanzig bis Dreißig
Kaiser-Franz-Regiments lagen damals in drei verschiedenen Kasernen: das erste Bataillon unter Vogel von Falckenstein in der Kommandantenstraße, das Füsilier-Bataillon unter Major von Arnim in der Alexanderstraße, das zweite Bataillon unter Major von Wnuck in der Neuen Friedrichsstraße. Regimentskommandeur war Oberst von Hirschfeld, Sohn des noch aus der friderizianischen Zeit stammenden Generals
Karl Friedrich
von
Hirschfeld,
der am 27. August 1813 das als »Landwehrschlacht« berühmt gewordene Treffen bei
Hagelsberg
siegreich führte, und Bruder des Generals
Moritz von Hirschfeld,
der von 1809 bis 1815 in Spanien gegen Napoleon focht – später kommandierender General des achten Armeekorps – und über seine spanischen Erlebnisse sehr interessante Aufzeichnungen hinterlassen hat.
Ich war dem zweiten Bataillon, Neue Friedrichsstraße, zugeteilt worden und meldete mich bei Major von Wnuck, einem alten Kampagnesoldaten von Anno 13 her. Er nahm meine Meldung freundlich entgegen und kam dabei gleich auf die Unteroffiziere zu sprechen. »Und wenn einer sich einen Übergriff erlauben sollte«, so donnerte er, voll Wohlwollen, gegen mich los, »so will ich gleich Anzeige davon haben.« Er wiederholte das verschiedentlich, und ich erfuhr später, daß er das jedesmal zum besten gäbe, weil er, seit Jahren, einen Unteroffizierhaß ausgebildet habe, niemand wisse warum. – Das war Wnuck. Mein Hauptmann, sechste Kompanie, war eine Seele von Mann. Er hatte, wiewohl immer noch Hauptmann, schon Ligny und Waterloo mitgemacht, damals kaum fünfzehnjährig. Bei Ligny schoß er auf einen französischen Lancier und fehlte, worauf der Franzose lachend an ihn heranritt und ihm mit der Lanze den Tschako vom Kopfe schlug. Solche Geschichten wurden viel erzählt. Außer dem Hauptmann hatten wir noch drei Offiziere bei der Kompanie, alle drei von beinah sechs Fuß Größe, die stattlichsten im ganzen Regiment: von Roeder, von Koschembahr, von Lepel. Roeder kommandierte zwanzig Jahre später die brandenburgische Brigade – Vierundzwanziger und Vierundsechziger –, die den Übergang nach Alsen so glänzend ausführte; Koschembahr, soviel ich weiß, nahm noch in den vierziger Jahren seinen Abschied; Lepel war
Bernhard
von Lepel, zu dem ich schon seit fast vier Jahren in freundschaftlichen Beziehungen stand. Es tut das aber nicht gut, einen Freund und Dichtergenossen als Vorgesetzten zu haben. An ihm freilich lag es nicht; ich meinerseits dagegen machte Dummheiten über Dummheiten, worauf ich weiterhin zurückkomme.
Die Freiwilligen in meinem Bataillon, wie beim Regiment überhaupt, waren lauter reizende junge Leute; die militärische Geltung jedoch, deren sich die gesamte Freiwilligenschaft damals erfreute, war noch eine sehr geringe. Das änderte sich erst, als, viele Jahre später, ein mit Ausbildung der Freiwilligen betrauter Hauptmann vom Gardefüsilier-Regiment sich dahin äußerte: »Das Material ist vorzüglich; wir müssen nur richtig damit wirtschaften: gute Behandlung und zugleich scharf anfassen.« Das war das erlösende Wort. Ich glaube, man weiß jetzt allerorten, was man an den Freiwilligen hat 4 , und sieht in ihnen keine Beschwerde mehr. Als ich diente, hatte sich diese Anschauung noch nicht durchgerungen. Einer unter uns war ein Rheinländer, Sohn eines reichen Industriellen, erst achtzehn Jahre alt, Bild der Unschuld. Von diesem will ich sprechen. Er wurde, wie wir alle, nach einer bestimmten Zeit Vizeunteroffizier und erhielt als solcher ein Wachkommando. Man gab ihm das am Potsdamer Tor, wo sich damals noch, wie an vielen anderen seitdem eingegangenen Stellen, eine Wache befand. Hier kam nun ein arges Versehen vor, an und für sich nichts Schlimmes, aber dadurch schlimm, daß es sich um etwas, das mit dem Hofe zusammenhing, um Honneurs vor Prinzlichkeiten, gehandelt hatte, hinsichtlich deren irgendwas versäumt worden war. Es war derart, daß der arme junge Mann verurteilt und in das Militärgefängnis abgeführt wurde. Daß wir andern Freiwilligen außer uns waren, versteht sich von selbst, am meisten aber die Hauptleute. »Solchen jungen Menschen auf solchen Posten zu stellen! Dummheit, Unsinn ... der Feldwebel war ein Esel ... dieser reizende junge Mensch!« So hieß es seitens der Vorgesetzten in einem fort, und es dauerte denn auch nur wenige Tage, so hatten wir unsren Liebling wieder. Aber er freute sich unsrer Freude doch nur halb; er hatte ein sehr feines Ehrgefühl, zu fein, und konnte die Sache nie ganz
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