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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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überwinden.
    Die ersten Monate vergingen wie herkömmlich, und als wir einexerziert waren, begann der kleine Dienst. Eine bestimmte Zahl von Wachen war für jeden Freiwilligen vorgeschrieben, und eine davon ist mir in Erinnerung geblieben und wird es auch bleiben, und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte.
    Das war eine Wache im Juni, vielleicht auch Juli, denn die Garden waren schon ausgerückt, und, mit Ausnahme der auf der »Kommission« arbeitenden Schuster und Schneider, waren für den hauptstädtischen Wachdienst nur Freiwillige da, die man damals noch nicht mit in das Manöver hinausnahm.
    An einem sehr heißen Tage zogen wir denn auch, wohl dreißig oder vierzig Mann stark, auf die Neue Wache, lauter Freiwillige von allen drei Bataillonen. Ein schneidiger älterer Offizier war auserwählt, uns in Ordnung zu halten.
    Alles ging gut, und neue Bekanntschaften wurden angeknüpft, denn es kannten sich bis dahin nur
die,
die demselben Bataillon angehörten. Unter den Freiwilligen des ersten Bataillons war ein junger Studiosus juris namens
Dortu,
Potsdamer Kind, derselbe, der, fünf Jahre später, wegen Beteiligung am badischen Aufstand in den Festungsgräben von Rastatt erschossen wurde. Der Prinzregent – unser spätrer Kaiser Wilhelm –, als er das Urteil unterzeichnen sollte, war voll rührender Teilnahme, trotzdem er wußte oder vielleicht auch
weil
er wußte, daß der junge Dortu das Wort »Kartätschenprinz« aufgebracht und ihn, den Prinzen, in Volksreden mannigfach so genannt hatte. Das Urteil umstoßen ging auch nicht, aber das tiefe Mißbehagen, in dem der Prinz sich befand, kleidete er in die Worte: »Dann mußte Kinkel auch erschossen werden.« Das war neunundvierzig. Damals aber – Juli Vierundvierzig – ... »wie fern lag
dieser
Tag!«
    Es war sehr heiß. Als indessen die Sonne eben unter war, kam eine erquickliche Kühle. Nicht lange mehr, so mußte ich wieder auf Posten, und zwar in der Oberwallstraße vor dem Gouvernementsgebäude, drin damals der alte Feldmarschall von Müffling wohnte. Bis dahin war noch eine halbe Stunde. Plaudernd stand ich mit ein paar Kameraden auf der Vordertreppe, dicht hinter den Gewehren, als ich vom Zeughaus her einen jungen Mann herankommen sah, der schon mit der Hand zu mir herübergrüßte. Kein Zweifel, es war mein Freund Hermann Scherz, alten Ruppiner Angedenkens, mit dem ich meine frühsten Kinderjahre und dann später auch meine Gymnasialzeit verlebt hatte. »Wo kommt denn
der
her? Was will denn
der?
«
    Ich hatte nicht lange auf Antwort zu warten. Er trat an mich heran, begrüßte mich ganz kurz, beinah nüchtern und sagte dann mit jener Ruhe, drauf er sich als Märker wundervoll verstand: »Is mir lieb, daß ich dich noch treffe. Willst du mit nach England? Übermorgen früh.« Daß ich dabei sein Gast sein sollte, verschwieg er, doch verstand es sich von selbst, da niemand existierte, der in meine Geldverhältnisse besser eingeweiht gewesen wäre als er.
    Ich war wie gelähmt. Denn je herrlicher mir das alles erschien, je schmerzlicher empfand ich auch: »Ja wie soll das alles zustande kommen? Es ist eben unmöglich. Morgen mittag Ablösung und übermorgen früh nach England. Mir bleiben höchstens vier Stunden, um den nötigen Urlaub zu erbitten. Und wird man ihn mir gewähren?«
    Ich war in diesen Betrachtungen fast noch unglücklicher, als ich einen Augenblick vorher glücklich gewesen war, und sprach dies meinem Freunde auch aus. »Ja, wie du's machen willst, das ist deine Sache. Übermorgen früh.«
    Und damit trennten wir uns.
    Der Mensch verzweifelt leicht, aber im Hoffen ist er doch noch größer, und als ich zehn Minuten später antreten mußte, um mit dem Ablösungstrupp nach der Oberwallstraße hin abzumarschieren, stand es für mich fest, daß ich übermorgen früh doch nach England aufbrechen würde.
    Was mir zunächst bevorstand, entsprach freilich wenig diesem Hochflug meiner Seele. Denn ich war noch keine halbe Stunde auf Posten, als ich, von den in Front der Haustür gelegenen Sandsteinstufen her, einen alten spitznäsigen Diener auf mich zukommen sah, der mir augenscheinlich etwas sagen wollte. In unmittelbarer Nähe von mir aber kam er wieder in ein Schwanken, weil er mittlerweile die Achselschnur, das Abzeichen der Freiwilligen, erkannt hatte. Sehr wahrscheinlich war er ein Sachse, wie der alte Müffling selbst, und sah sich als solcher durch Artigkeitsrücksichten bedrängt, die der Märker – und nun gar erst der Berliner – nie

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