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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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durch die Gebrüder Stangen zu so großem Ansehen kam. Die von jedem Teilnehmer einzuzahlende Summe war verhältnismäßig klein und sicherte demselben – aber erst von Magdeburg aus, das als Rendezvous oder starting point ausersehen war – zunächst freie Fahrt hin und zurück und daneben Wohnung und Verpflegung während eines zehntägigen Aufenthaltes in London. Ich freute mich, dies zu hören, weil es mir eine gewisse freie Bewegung sicherte. War erst das Billet in meinen Händen, so war damit die Hauptsache getan, und von einer weiteren Inanspruchnahme meines Freundes konnte nur noch sehr ausnahmsweise die Rede sein. Das erleichterte mir natürlich meine Lage.
    Gegen Mittag – es ging damals noch sehr langsam – waren wir in Magdeburg, kuckten in den Dom hinein und begaben uns gleich danach an den Kai, wo der für uns gemietete, nach Hamburg bestimmte Flußdampfer lag. Hier, auf der Landungsbrücke, trafen wir unsere Reisegesellschaft bereits versammelt. Es mochten einige zwanzig Herren sein, vorwiegend Breslauer und Leipziger Kaufleute, dazu etliche Tuchfabrikanten aus der Lausitz und dem Sächsischen Vogtlande, zwei Studenten und ein Advokat. Diese drei Letztgenannten sind mir besonders im Gedächtnis geblieben, die Studenten, weil sie sich, drei Tage später, von den Dienstmädchen unseres Londoner Hotels mit echt englischer Unbefangenheit ausgiebig umcourt sahen, der Advokat, weil er uns, gleich auf der Fahrt von Magdeburg bis Hamburg, eine schreckliche Szene machte. Das kam so. Neben ihm, in der Kajüte, saß ein feiner alter jüdischer Herr, ein Mann von nah an Siebzig und beinah ehrwürdiger Haltung. Aber dies mußte seinem Nachbar, dem Advokaten, wohl als etwas sehr Gleichgültiges erscheinen, und nachdem er mit allerlei Schraubereien begonnen hatte, ging er, durch die berechtigten Zeichen von Ungeduld, die der alte Herr gab, nur immer zudringlicher und gereizter werdend, zu Verhöhnungen und Invektiven über. Freund Scherz und ich waren empört, zugleich aber auch verwundert, weil die größte Hälfte der Gesellschaft aus Juden bestand, die sich doch seiner in corpore hätten annehmen müssen. Im ganzen existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; aber freilich, Einzelfällen, wie beispielsweise dem hier geschilderten, bin ich doch auch in meiner Jugend schon begegnet.
    Die Elbfahrt von Magdeburg nach Hamburg ist langweilig; nur bei Tangermünde, wo Reste einer aus den Tagen Karls IV. herstammenden Burg aufragen, belebt sich das Bild ein wenig. Gegen Mitternacht trafen wir in Hamburg ein, begaben uns an Bord eines alten Dampfers, des »Monarch«, wo wir uns auf den in den Kabinen umherliegenden Pferdehaarkissen ausstreckten und ermüdet einschliefen. Aber freilich nicht lange. Schon als es eben erst dämmerte, wurde es über uns lebendig, und kaum daß die Sonne da war, so setzte sich unser Dampfer auch schon in Bewegung und glitt den schönen Strom – denn von hier an wird er schön – hinunter. Wir Passagiere schritten derweilen auf Deck auf und ab. Der »Monarch«, ursprünglich ein schönes, feines Schiff, war schon seit einer ganzen Reihe von Jahren nur noch Transportdampfer für Hammel und hatte nur für dies eine Mal – ich weiß nicht, um sich oder uns zu ehren – seine Fracht wieder gewechselt. Als wir Cuxhaven zur Seite hatten, wurde das zweite Frühstück genommen; ich war rasch damit fertig und begab mich wieder auf Deck, um von der Szenerie nichts zu verlieren. Und hier auf Deck, auf einem Berg zusammengerollter Taue sitzend, sog ich jetzt die heranwehende Seeluft ein. Ein Gefühl hohen Glückes überkam mich, und ich erschien mir minutenlang unendlich bevorzugt und beneidenswert; aber freilich, inmitten meines Glückes, wurde ich mir doch auch plötzlich wieder der erdrückenden Kleinheit meiner Lage bewußt. Ich war in jedem Augenblicke nicht bloß abhängig von der Guttat eines anderen, ich war auch, außerdem noch, sehr sonderbar ausgerüstet für ein Auftreten in der ersten und reichsten Stadt der Welt. Gepäck existierte für mich nicht, nicht Plaid, nicht Reisedecke; mein Beinkleid war eine Militär-Kommißhose mit der roten Biese daran, und ein kleines braunes Röckchen, das ich trug, hatte mich nicht bloß gegen alle Witterungsunbilden zu schützen, sondern auch noch für meine Repräsentation in »Albion« zu sorgen. Und dazu nichts als das »Billet«! So froh ich war, es zu haben, so konnt' es doch am Ende nicht für alles aufkommen. Ich

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