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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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jetzt jämmerlich auf und rang die kurzen, stummelhaften Hände. Zuletzt sah sie Lewin, der an der Tür stehengeblieben war. Sie wollte rutschend auf ihn los, mutmaßlich, um die Szene zu wiederholen, die sie eben vor dem alten Vitzewitz gespielt hatte. Aber Pachaly hielt sie zurück.
    »Laß es hingehen, Papa«, rief jetzt Lewin, als ob Hoppenmarieken, deren Unzurechnungsfähigkeit für ihn feststand, gar nicht zugegen wäre. »Sieh sie dir an; es ist der Mensch auf seiner niedrigsten Stufe. Droh ihr; das ist das einzige, was sie versteht. Ihr ganzer Rechtsbegriff ist ihre Furcht. Und Turgany weiß das so gut wie wir; er wird nichts an die große Glocke hängen. Wenn es aber sein muß, so wird er sie schildern, wie sie ist. Und das ist ihre beste Verteidigung. Ich bitte dich, laß sie laufen.«
    »Hast du gehört?« fragte jetzt Berndt zu der Zwergin hinüber, die, während Lewin sprach, endlich aufgestanden war.
    Sie zwinkerte mit den Augen und sagte: »Ick hebb allens hürt; ick weet, ick weet. Jo, de junge Herr, he kennt mi, un ick kenn
em
. Un ick hebb 'n all kennt, as he noch so lütt wihr,
so
lütt. Jo, de junge Herr ...!«
    »Er bittet für dich«, fuhr Berndt fort, »und will, daß ich dich laufen lasse. Warum? Weil du Hoppenmarieken bist. Ich aber kenn dich besser und weiß, du hörst das Gras wachsen. Schlau bist du und taugst nichts, das ist das Ganze von der Sache. Nimm deine Kiepe; wir wollen diesmal noch ein Auge zudrücken. Aber paß Achtung, wenn wir dich wieder ertappen, ist es aus mit dir. Und nun geh und bessere dich fürs neue Jahr.«
    Sie sah sich nach Stock und Kiepe um, die sie beide beim Eintritt ins Zimmer neben der eisenbeschlagenen Truhe niedergesetzt hatte. Als sie wieder marschfertig war, glitt ihr Auge noch einmal über die auf den Stühlen ausgebreiteten Sachen hin. Es war ersichtlich, daß sie Lust hatte, Besitzrechte daran geltend zu machen. Berndt sah den Blick und empfand jetzt, daß Lewin doch recht habe.
    »Geh«, wiederholte er, »alles bleibt hier und wird nach Frankfurt abgeliefert. Vielleicht du auch noch!«
    Sie nahm das letzte Wort als einen Scherz und grinste wieder.
    Eine Minute später schritt sie, mit ihrem Stock salutierend, über den Hof hin, in einem Tempo, als ob nichts vorgefallen sei oder eine ganz alltägliche Streitszene hinter ihr läge.
     
Achtzehntes Kapitel
     
Othegraven
    Der alte Rysselmann, in Jeetzes kleiner Bedientenstube durch einen Imbiß gestärkt und wieder aufgewärmt, passierte eben das an der großen Straße nach Frankfurt gelegene Dorf Podelzig, als ihm ein leichter Kaleschwagen begegnete, auf dessen Lederbank er den Freund seines Justizrats, den Konrektor Othegraven, erkannte. Othegraven ließ halten.
    »Guten Tag, Rysselmann, gut bei Weg? Was in aller Welt bringt Sie nach Podelzig?«
    »Ich komme schon von Hohen-Vietz. Dienstsachen; ein Brief vom Herrn Justizrat an den Herrn von Vitzewitz. Ein guter Herr; und so ist das ganze Dorf.«
    »Ich will auch hin«, sagte Othegraven. »Treffe ich den Schulzen Kniehase?«
    »Im Dorf ist er; aber ob der Herr Konrektor ihn treffen werden, ist unsicher. Denn ich hörte, wie der gnädige Herr nach ihm schickte, weil sie bei der alten Botenfrau, die Hoppenmarieken heißt, eine Haussuchung abhalten wollen. Es soll eine Hehlerin sein.«
    »Danke schön, Rysselmann; meinen Gruß an den Justizrat. Gott befohlen!«
    Damit fuhr der Konrektor in raschem Trabe weiter auf Hohen-Vietz zu. Was ihm Rysselmann gesagt hatte, kam ihm ungelegen, und wenn er zu den Leuten gehört hätte, die auf Zeichen achten, so hätte er umkehren müssen. Er war aber ohne jede Spur von Aberglauben und sah in allem, was geschah, ein unwandelbar Beschlossenes. Seinem Bekenntnis, noch mehr seiner Parteistellung nach streng lutherisch, ruhte doch – ihm angeboren und deshalb unveräußerlich – auf dem Grunde seines Herzens ein gut Stück prädestinationsgläubiger Kalvinismus.
    Von Podelzig war nur noch eine Stunde. Es läutete Mittag, als Othegraven vor dem Pfarrhause hielt. Seidentopf, den er bei seiner vorgestrigen Anwesenheit in Hohen-Vietz nicht aufgesucht hatte, begrüßte ihn herzlich an der Schwelle seiner Studierstube, die jetzt, wo die Wintersonne schien, ein besonders freundliches Ansehen hatte. Alles war verändert, und die Haushälterin, die sich am zweiten Feiertage durch ihr aufgeregtes Hin- und Herfahren mit Schippe und Räucheressenz so bemerklich gemacht hatte, zeigte heute die vollkommenste Ruhe, als sie, nach dem

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