Vor dem Sturm
Pferde an, und der leichte Schlitten flog mit einer Schnelligkeit dahin, die zunächst wenigstens für die Chancen Berndts besorgt machen konnte.
Kathinka, wie am Abend vorher auf der kurzen Fahrt nach Hohen-Ziesar, hatte auch heute wieder die Leinen genommen, das Glockenspiel klang, und die roten Büsche nickten. Ihr Weg ging erst tausend Schritt auf der Küstriner Straße zwischen den Pappeln hin, ehe sie nach links in die weite Schneefläche des Bruchs einbogen. Als sie die Stelle passierten, wo der Überfall stattgefunden hatte, zeigte Tubal scherzend nach der Waldecke hinüber und beschrieb der Schwester seinen Wettlauf über den Sturzacker hin.
»Und das alles im Ritterdienste Hoppenmariekens. Wer hielt je treuer zu seiner Devise: Mon coeur aux dames!«
»Es müssen eben Zwerginnen kommen, um euch zu ritterlichen Taten anzuspornen. Sonst laßt ihr andere eintreten in Taten und Gesang, und wenn es Doktor Faulstich wäre. Im übrigen ist es Zeit, Lewin, daß wir unsere Lektion beginnen. Ich weiß vorläufig nur, daß die erste Strophe mit einem Reim auf Guse abschließt; Muse, Guse. Ich glaube, die ganze Melpomene-Idee wäre nie geboren worden, wenn dieser Reim nicht existiert hätte.«
Nun begann unter Lachen das Rezitieren, und immer, wenn eine neue Strophe bezwungen war, salutierte Lewin, und der Knall seiner Schlittenpeitsche, dann und wann das Echo weckend, hallte über die weite Schneefläche hin. So hatten sie Golzow, bald auch Langsow passiert, und der Guser Kirchturm wurde schon zwischen den Parkbäumen sichtbar, als plötzlich die Ponies, deren schwarze Mähnen von Renneifer wie Kämme standen, ihnen zur Seite waren und der alte Vitzewitz, in seinem Kaleschwagen sich aufrichtend, zu Kathinka hinüberrief: »Gewonnen!«
»Nein, nein!« Und nun begann ein Wettfahren, in dem als nächstes Objekt die Ottaverime des Doktors und gleich darauf alle Gedanken an Prolog und Melpomene über Bord gingen. Auch über die Braunen, die vor den Schlitten gespannt waren, kam es wie eine ehrgeizige Regung alter Tage, aber der Vorteil ihrer größeren Schritte ging bald unter in dem Nachteil ihrer längeren Dienstjahre, über die nur einen Augenblick lang die jugendlich machenden Schneedecken hatten täuschen können, und um ein paar Pferdelängen voraus donnerte der Kaleschwagen über die Sphinxenbrücke und hielt als erster vor dem Schloß. Berndt hatte das Spritzleder schon zurückgeschlagen, sprang herab und stand rechtzeitig genug zur Seite, um Kathinka die Hand reichen und ihr beim Aussteigen aus dem Schlitten behilflich sein zu können.
»Da hast du die gewonnene Wette«, sagte sie, dem Alten einen herzhaften Kuß gebend, während sie zugleich, zu Lewin gewandt, hinzusetzte: »Voilà notre ancien régime.«
Dann traten sie in die geheizte Flurhalle, wo Diener ihnen die Mäntel und Pelze abnahmen.
In dem blauen Salon der Gräfin war heute der »weitere Zirkel«, dem, außer einigen unmittelbaren Nachbarn von Tempelberg, Quilitz und Friedland her, auch der Landrat und der neue Seelowsche Oberpfarrer angehörten, schon seit einer halben Stunde versammelt und teilte seine Aufmerksamkeiten zwischen der Wirtin und ihrem bevorzugten Gaste, Demoiselle Alceste. Diese, wie sie zugesagt, war bereits einen Tag früher eingetroffen, und in Plaudereien, die sich bis über Mitternacht hinaus ausgedehnt hatten, war der Rheinsberger Tage, der Wreechs, Knesebecks und Tauentziens, vor allem auch der prinzlichen Schauspieler, des genialen Blainville und der schönen Aurora Bursay, mit herzlicher Vorliebe gedacht worden. Über Erwarten hinaus hatte das Wiedersehen, das nach länger als zweiundzwanzig Jahren immerhin ein Wagnis war, beide Damen befriedigt, von denen jede das Verdienst, sofort den rechten Ton getroffen zu haben, für sich in Anspruch nehmen durfte. Am meisten freilich Demoiselle Alceste; sie vereinigte in sich die Liebenswürdigkeiten ihres Standes und ihrer Nation. Sehr groß, sehr stark und sehr asthmatisch, von fast kupferfarbenem Teint und in eine schwarze Seidenrobe gekleidet, die bis in die Rheinsberger Tage zurückzureichen schien, machte sie doch dies alles vergessen durch den die größte Herzensgüte verratenden Ausdruck ihrer kleinen schwarzen Augen und vor allem durch ihre Geneigtheit, auf alles Heitere und Schelmische und, wenn mit Esprit vorgetragen, auch auf alles Zweideutige einzugehen. Was ihr anziehendes Wesen noch erhöhte, waren die Anfälle von Künstlerwürde, denen sie ausgesetzt war,
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