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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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nächstliegenden und wichtigsten zu nennen, das Streichinstrument- und Flötenquintett bestehen, das, die musikalischen Kräfte von Seelow und Kirch-Göritz zusammenfassend, der Leitung des jungen Guser Kantors, eines nach Tante Amelies Meinung verkannten musikalischen Genies, anvertraut worden war? Würde Kathinka, wirklicher Deklamation zu geschweigen, die Prolog-Ottaverime auch nur fehlerfrei und ohne Anstoß sprechen können? Würde Alceste die ganze Vorstellung nicht zu sehr als Bagatelle behandeln? War Verlaß auf die Dienerschaften, Männlein wie Weiblein, die mit Dekorationswechsel, Bereithaltung einiger Requisiten, endlich auch mit dem Zurückziehen und Wiederfallenlassen der Gardine betraut worden waren? Denn das Guser Theater hatte noch statt eines rouleauartigen Vorhanges den von links und rechts her zusammenfallenden Teppich. Mehr als einmal schoß dem Doktor das Blut zu Kopf und weckte die Lust in ihm, in dieser zwölften Stunde noch mit einem Demissionsgesuch vor die Gräfin zu treten; aber im selben Augenblicke die Unmöglichkeit solchen Schrittes einsehend, richtete er sich an dem Satze auf, der in ähnlichen Lagen schon so oft geholfen hat: »Nur erst anfangen.« Übrigens erwuchs ihm, als die Not am größten war, eine wesentliche Hilfe aus dem plötzlichen Erscheinen der kleinen Eve. Diese hatte sich ihm kaum zur Verfügung gestellt, als auch schon ein besserer Geist in die Dienerschaften fuhr, die guten Grund hatten, es mit dem erklärten Liebling der Gräfin nicht zu verderben.
    So kam neun Uhr; schon eine Stunde vorher waren Mademoiselle Alceste und Kathinka aus dem Salon abgerufen worden. Jetzt trat Eve an ihre Herrin heran, um ihr zuzuflüstern, daß alles bereit sei. Die Gräfin erhob sich sofort, reichte Drosselstein den Arm und schritt durch das Eßzimmer in den dahintergelegenen Theatersaal, der sich, ziemlich genau halbiert, in eine Bühne und einen Zuschauerraum teilte. In letzterem herrschte eine nur mäßige Helle, um die Gestalten auf der Bühne in desto schärferer Beleuchtung erscheinen zu lassen. Etwa zwanzig Sessel waren in zwei Reihen gestellt, in Front derselben fünf hochlehnige Stühle für die Musik, in deren Mitte, den Blick auf den Vorhang gerichtet und eine Notenrolle in der Hand, der als Kapellmeister funktionierende Guser Kantor stand, Herr Nippler mit Namen. Auf den Polstersesseln lagen Theaterzettel, die auf Veranlassung Faulstichs bei dem Buchbinder und Fibelverleger P. Nottebohm in Kirch-Göritz gedruckt worden waren und jetzt, nachdem alles Platz genommen hatte, sofort einem eifrigen Studium unterzogen wurden. Der Zettel lautete:
     
    Théâtre du Château de Guse
    Jeudi le 31 Décembre 1812
    La représentation commencera à 9 heures.
     
    1. Ouverture exécutée sous la direction de M. Nippler, chantre de Guse, par 3 violons, 1 flûte et 1 basse.
    2. Prologue. (Melpomène.)
    3. Début de Mademoiselle
Alceste Bonnivant
.
    Scènes diverses, prises de Guillaume Tell. Tragédie en cinq actes par Lemierre.
    a. Cléofé, épouse de Tell, s'adressant à son mari:
    Pourquoi donc affecter avec moi ce mystère,
    Et te cacher de moi comme d'une étrangère?
    b. Cléofé, s'adressant à la Garde de Gesler:
    Je veux voir mon époux, vous m'arrêtez en vain etc.
    c. Cléofé, s'adressant à Gesler:
    Quoi, Gesler! quand j'amène un fils en ta présence etc.
    d. Cléofé, s'adressant à Walther Fürst:
    C'etait-là le moment de soulever la Suisse.
    Tu l'as perdu!
    4. Finale composé pour 2 violons et 1 flûte par M. Nippler.
     
    Le Sous-Directeur Dr. Faulstich
     
    Imprimé par P. Nottebohm,
    relieur, libraire et éditeur à Kirch-Goeritz
     
    Die Mehrzahl der Anwesenden war mit dem Studium des Zettels noch nicht bis zur Hälfte gediehen, als das Zeichen mit der Klingel gegeben wurde. Nippler klopfte mit der steifen Papierrolle auf das Podium, und sofort begannen die Violinen ihr Werk; jetzt fiel die Flöte ein, während von Zeit zu Zeit des »Basses Grundgewalt« dazwischen brummte. Nun war es zu Ende, Nippler trocknete sich die Stirn, und die Gardine öffnete sich. Melpomene stand da.
    Ein »Ah!« ging durch die ganze Versammlung, so von Herzen, daß auch einer zaghafteren Natur als der Kathinkas der Mut des Sprechens hätte kommen müssen.
    Ehe sie begann, fragte Rutze leise den neben ihm sitzenden Baron Pehlemann: »Was stellt sie vor?«
    »Melpomene.«
    »Aber hier steht ja Prolog.«
    »Das ist ein und dasselbe.«
    »Ah, ich verstehe«, flüsterte Rutze mit einem

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