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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sie wieder den Hang, aus ihrer Einsamkeit, die ganz und gar gegen ihre Natur und ihr durch die Verhältnisse nur aufgezwungen war, herauszutreten. Und so geschah es. Die Frauen, gegen die sie, mit den Jahren sich steigernd, eine fast zur Manie gewordene Abneigung hegte, blieben nach wie vor ausgeschlossen; aber den kleinen Männerkreis, der bis dahin ihren Umgang gebildet hatte, suchte sie zu erweitern. Der Wechsel im Besitz auf mehreren der ihr benachbarten Güter bot dazu eine bequeme Gelegenheit, und jener Gesellschaftszirkel begann sich zu bilden, der, schon ein Jahrzehnt vor Beginn unserer Erzählung, zu allerhand kritischen Bemerkungen von seiten ihres Bruders Berndt, zugleich aber auch zu dem Verteidigungs-Konklusum der Gräfin: »Tous les genres sont bons, hors l'ennuyeux«, geführt hatte.
    »Gut«, hatte Berndt geantwortet, »aber dann erfülle auch die Bedingung. Du wirst doch nicht den Kammerherrn von Medewitz als ›hors l'ennuyeux‹ bezeichnen wollen?«
    »Doch«, hatte die Schwester repliziert und eine Unterredung abgebrochen, in der beide Geschwister, jeder von seinem Standpunkte aus, im Rechte waren. Die Gräfin, selbstisch in all ihrem Tun, verfuhr nicht nach allgemeinen Gesichtspunkten, sondern nach allerpersönlichstem Geschmack. Ihr Umgangskreis, den Berndt ziemlich spitz als »allerlei Freunde« bezeichnete, war nicht darnach gewählt worden, ob er andern, sondern lediglich darnach, ob er
ihr
gefiele. Was sie am meisten verachtete, waren herkömmliche Anschauungen; ihre Laune war souverän. Wer ihr ein Lächeln abnötigte, ihr Gelegenheit zu einem Sarkasmus bot, war ihr ebenso unterhaltlich als derjenige, der ihr eine Fülle von Esprit, einen Schatz von Anekdoten entgegenbrachte. Nur die unausgesprochenen Menschen waren ihr interesselos, während alles Aparte, gleichviel, ob es nach der Beschränktheits- oder der Klugheitsseite hin lag, einen prickelnden Reiz für sie hatte.
    Sehen wir im folgenden Kapitel des näheren, welcher Art diese »allerlei Freunde« von Schloß Guse waren.
     
Drittes Kapitel
     
Allerlei Freunde
    Die »allerlei Freunde« bildeten einen weiteren und einen engeren Kreis. Der engere Kreis war eine Siebenzahl und bestand aus folgenden Personen: Graf Drosselstein auf Hohen-Ziesar, Präsident von Krach auf Bingenwalde, Generalmajor von Bamme auf Quirlsdorf, Baron von Pehlemann auf Wuschewier, Domherr von Medewitz auf Alt-Medewitz, Hauptmann von Rutze auf Protzhagen, Doktor Faulstich in Kirch-Göritz.
    Es wird unsere nächste Aufgabe sein, der bloßen Vorstellung dieser Herren, die mit Ausnahme Doktor Faulstichs alle das sechzigste Jahr erreicht oder überschritten hatten, eine kurze Charakterisierung folgen zu lassen. Wenn dies ein Verstoß gegen die Gesetze guter Erzählung ist, so möge der Leser Nachsicht üben, und um so mehr, als der zu begehende Fehler vielleicht mehr scheinbar als wirklich ist. Denn mit wie großem Recht auch die Vorführung abgeschlossener, ihr Tun und Denken zettelartig am Mantel tragender Gestalten verworfen und statt dessen jene Erzählungskunst gepriesen werden mag, die die Phantasie des Lesers in den Stand setzt, das nur eben Angedeutete schöpferisch auszubilden und zu vollenden, so mögen doch Ausnahmen überall da gestattet sein, wo, wie hier, das Nebeneinanderstellen fertiger Figuren nicht viel mehr bedeuten will als eine weniger um der Bildnisse selbst als um des
Ortes
willen, wo sie sich finden, dem Leser vorgeführte
Porträtgalerie
.
    Die vornehmste Erscheinung in Schloß Guse, zugleich dem Zirkel am längsten angehörig, war
Graf Drosselstein
. In Königsberg geboren, in dessen Nähe auch die Familiengüter lagen, war er, trotzdem er die Provinz gewechselt hatte, ein vollkommener Repräsentant des ostpreußischen Adels. Dieser Adel, dem Hofe und dem »Dienste« ferner stehend, hatte freilich – wenigstens damals noch – darauf verzichten müssen, seinen Namen gleich ruhmreich wie die märkisch-pommerschen Familien in unsere bis dahin wenig mehr als eine Reihe von Schlachten darstellende Geschichte einzutragen, aber was ihm dadurch an Volkstümlichkeit und historischem Klang verlorengegangen war, war wieder aufgewogen worden durch das Bewußtsein gewahrter Unabhängigkeit. Weniger ein- und untergeordnet in das Räderwerk des militärisch-bureaukratischen Staates, hatte sich ganz Ostpreußen und besonders sein Adel – im einzelnen zu seinem Nachteil, im ganzen zu seinem Vorzug – eine ausgesprochene provinzielle Eigentümlichkeit zu

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