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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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während ein aus unsichtbaren Quellen gespeister See einen kataraktreichen Bergstrom in die Tiefe schickte. Sennhütten und Matten lösten sich untereinander ab; zu Füßen dieser Künsteleien aber, in das wirkliche Oderbruch übergehend, dehnte sich eine reizende Flachlandszenerie mit Feld und Wiesen, mit Fluß, Bach und Brücken und einem stillen, weidenumstandenen Teich, dessen japanisches Inselhäuschen die Schwäne umzogen.
    An der Herstellung dieses Parkes nahm unsere Guser Gräfin, die sich zu allem Rokokohaften hingezogen fühlte, den regsten Anteil, der Verkehr wuchs, Briefe wurden gewechselt, Konferenzen abgehalten, deren endliches Resultat nicht nur der Aufbau der Hohen-Ziesarschen »Schweiz«, sondern auch die Etablierung einer Freundschaft war, die sich seitdem, namentlich von seiten der Gräfin, zu einer wirklichen, über Laune und Zerstreuungsbedürfnis weit hinausgehenden Intimität gesteigert hatte.
    Dies konnte kaum ausbleiben. Denn so gewiß die Gräfin am Aparten hing, sowenig sie der Originalfiguren ihres Zirkels entraten mochte, sosehr empfand sie doch auch, was der Mehrzahl derselben fehlte: Schliff, Bildung, Ton, vor allem jegliches Verständnis für Kunst und Schönheit. All dies besaß der Graf. Er hatte nicht nur die Höhe der Rheinsberger Gesellschaft, er übertraf dieselbe sogar durch jenes nachhaltig wirkende Ansehen, das allein aus Selbstsuchtlosigkeit und reinem Wandel sprießt.
    Ein bestimmtes Ereignis gab der schon gefestigten Freundschaft ein neues Band. Der Graf nahm Veranlassung, die Gräfin ins Geheimnis zu ziehen; er erzählte ihr die Geschichte vom Hinscheiden seiner Frau, auch von dem, was diesem Hinscheiden unmittelbar vorausgegangen war. Es war das Folgende.
    Die junge Gräfin, nach einem heftigen Hustenanfall, schien in einen Zustand tiefen Schlummers zu verfallen, auch der Graf, ermüdet von tagelangem Wachen, schlief in seinem Lehnstuhl ein. Es war spät, nur eine Schirmlampe brannte. Als er erwachte, bemerkte er, daß die Kranke aufgestanden war und sich der Tapetentür eines Wandschrankes näherte. Eine lethargische Schwere, zugleich ein dunkeles Gefühl, daß er die Kranke in ihrem Tun nicht stören dürfe, hielten ihn in seinem Lehnstuhl fest. Er sah nun, daß sie zunächst ein Kästchen aus dem Schranke, dann aus einem verborgenen Fach des Kästchens eine Anzahl Briefe nahm, die mit einer roten Schnur zusammengebunden waren. Sie schritt wieder zurück, an ihm vorbei, glaubte sich zu überzeugen, daß er schlafe, und trat dann an den Kamin. Sie berührte die Briefe mit den Lippen, löste die Schnur und warf dann jeden einzelnen Brief vorsichtig, damit die Flamme nicht zu hell aufschlüge, in das halberloschene Feuer. Als alles verglimmt war, kehrte sie an ihr Lager zurück, hüllte sich in die Decken und atmete hoch auf, wie befreit von einer bangen Last. Es war ihr letztes Tun. Ehe der Morgen kam, war sie nicht mehr. Welch ein Tag für den Überlebenden! Er hatte sich geliebt geglaubt; nun war alles Wahn und Traum. Wessen Hand hatte die Briefe geschrieben, die die Empfängerin bis zuletzt wie ein Allerteuerstes gehegt hatte? Er frug es immer wieder; aber keine Antwort. Das Geheimnis war bei der Toten und der Asche im Kamin.
    So hatte der Graf erzählt. Die Erzählung selbst aber, wie schon angedeutet, besiegelte die Freundschaft, die von jenem Tage an unauflöslich zwischen dem Witwergrafen und Hohen-Ziesar und der Gräfinwitwe auf Schloß Guse bestand.
    Schloß Guse hatte jedoch nur einen Drosselstein; alles andere, was sich von »allerlei Freunden« daselbst versammelte, konnte so ziemlich als Revers des Grafen gelten.
    Ihm im Range am nächsten stand Präsident von
Krach
, ein Mann von Gaben und Charakter. Er galt als ein bedeutender Jurist, hatte durch hartnäckige Opposition den Zorn des großen Königs herausgefordert und seinerseits, in tiefer Verstimmung über die bei dieser Gelegenheit erfahrene Unbill, sich nach Bingenwalde zurückgezogen. Er war hager, groß, scharf, wenig leidlich. Sein hervorstechender Zug war der Geiz. Er beanstandete jede Rechnung und bezahlte sie, nach dem Grundsatze: »Zeit gewonnen, Zins gewonnen«, immer erst nach eingeleitetem prozessualischen Verfahren. Die Betroffenen spotteten, daß es aus alter Anhänglichkeit an die Gerichte geschähe, zu denen sich sein juristisches Paragraphenherz doch immer wieder hingezogen fühle. Eines besonderen Rufes genossen auch seine Diners, die, wiewohl alljährlich nur einmal wiederkehrend, ein

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