Vor dem Urknall
unter solchen Umständen die Galaxien rotverschoben waren.
Den scharfsinnigsten Vorschlag äußerte der Kosmologe und Hitzkopf Fritz Zwicky. Er wurde 1898 in Bulgarien geboren. Seine Eltern waren schweizerische Staatsbürger. Zwicky arbeitete an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, bevor er 1925 in die USA emigrierte, wo er am Caltech und an der Sternwarte auf dem Mount Wilson beschäftigt war. Zwickys Version der Geschehnisse lässt sich am besten verstehen, indem man das Licht aus der Sicht eines Photons betrachtet, wo eine Rotverschiebung eine Reduzierung der Photonenenergie ist.
Seine Argumentation gründete auf der Gravitationsanziehung, die vom Rest des Universums auf die Photonen ausgeübt wird, die auf uns zu eilen und dabei eine Abschwächung ihrer Energie erfahren und rotverschoben werden. Je weiter sie entfernt waren, umso größer war die Chance, dass sich der Gravitationseinfluss verstärkte, und entsprechend größer fiel auch die Rotverschiebung aus. Es stimmt natürlich, dass die Gravitation aus genau diesem Grund das Licht ans rote Ende des Spektrums verschiebt, aber es gab einfach keine Erklärung für die Ursache eines derart gewaltigen Energieverlusts. Die Gravitation ist, verglichen mit den anderen Naturkräften, eine äußerst schwache Kraft.
An dieser Stelle überschritt Zwicky die Grenze zwischen guter und schlechter Wissenschaft. Wie wir bereits gesehen haben, ist es die hervorstechendste Eigenschaft eines guten Wissenschaftlers, aus dem Stand umschalten und von einer Theorie zu einer anderen wechseln zu können, wenn die Daten es verlangen. Zwicky hingegen hielt an seiner Theorie fest und stellte stattdessen die Daten in Frage, die nicht mit ihr übereinstimmten. Die Anfechtung der Genauigkeit von Daten ist völlig in Ordnung. Aus diesem Grund verlangt die Wissenschaft Experimente, die wiederholbar sind, weil man sich sonst womöglich auf zweifelhafte Zahlen verlassen müsste. Aber in diesem Fall hätte Hubble wirklich grobe Messfehler gemacht haben müssen, damit Zwickys Theorie noch funktionierte. Und dafür gab es nicht nur keine Anhaltspunkte, sondern Hubbles Ergebnisse wurden zunehmend bestätigt.
Wird eine Theorie erstmals formuliert, findet sie häufig zunächst nicht genügend Unterstützung, sodass man den Eindruck gewinnt, es lohne sich nicht, ihre Auswirkungen zu untersuchen. Doch sobald sie die Art von Anerkennung genießt, wie es bei der Urknalltheorie der Fall war, lassen sich die Wissenschaftler darauf ein und testen sie hinsichtlich verschiedener Beobachtungen über das Universum, die bereits gemacht worden sind, um zu sehen, ob die Theorie den Beobachtungen standhält. Eine bot sich dabei spontan an.
Die sonderbare Verteilung der chemischen Elemente im Universum war stets mit einem gewissen Unbehagen verbunden gewesen. Es gibt erheblich mehr Wasserstoff und Helium im Universum als jedes andere Element: Lediglich rund 0 , 1 Prozent aller existierenden Atome sind etwas anderes als Wasserstoff und Helium. Dazu gehört alles, was wir als Teil der dreidimensionalen, sichtbaren Welt betrachten, die wir bewohnen. Die vorherrschende Idee eines unbeweglichen und unveränderlichen Universums bietet keine Erklärung für das Vorhandensein solcher erstaunlich großen Mengen von Wasserstoff und Helium an.
Irgendeinen Wert musste es natürlich geben. Aber er würde dazu beitragen, die Theorie zu unterstützen, die voraussagen würde, dass die beobachteten Werte stimmen sollten. Nähme man den Urknall erst einmal ernst – auch wenn er noch nicht ganz allgemein akzeptiert wäre –, schien es vernünftig zu sein, wenn man herauszufinden versuchte, ob er mit einer Erklärung für diese seltsame Zusammensetzung der Materie im ganzen Universum dienen konnte. Der Mann, der darauf eine Antwort finden sollte, war George Gamow.
Der Wasserstoffsee
Gamow war einer der überschwänglichsten Typen unter den Physikern. Er wurde 1904 im ukrainischen Odessa geboren und begann seine Physikerlaufbahn an der Novorossia-Universität seiner Heimatstadt, war aber bald enttäuscht vom sowjetischen System, das wissenschaftliche Theorien nicht deshalb für wahr hielt, wenn es Beweise dafür gab, sondern wenn sie politisch akzeptabel waren. Nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen aus der Sowjetunion (einmal versuchte er, gemeinsam mit seiner Frau in einem Kanu über das Schwarze Meer zu paddeln, um in der Türkei unterzutauchen) gelang es ihm schließlich, sich auf einer der
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