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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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mit Photos überladene Beistelltischchen, ein weich gepolsterter Lehnsessel mit schäbigen Bezügen und so viele Gemälde in reichgeschnitzten Rahmen, daß der Salon wie eine bedrückende, nur selten besuchte Provinzgalerie wirkte. Mrs. Dennison schien zwar die Kälte, nicht aber die düstere Atmosphäre zu bemerken. Sie bückte sich, um einen zweispiraligen elektrischen Heizofen rechts neben dem riesigen Kamin einzuschalten, setzte sich dann mit dem Rücken zum Fenster und winkte Rikkards und Oliphant aufs Sofa, auf dem die beiden steif und hoch aufgerichtet nebeneinander auf harten, unnachgiebigen Polstern saßen. Sie selbst blieb, die Hände im Schoß gefaltet, ruhig wartend sitzen. Das Zimmer mit dem gewichtigen, dunklen Mahagoni, der Atmosphäre lastender Ehrbarkeit ließ sie als menschliche Gestalt darin derart zurücktreten, daß Rikkards den Eindruck hatte, sie schwinde langsam dahin und schimmere bereits durchsichtig wie ein bleicher, körperloser Geist, erdrückt von den riesigen Armlehnen des großen Sessels. Er dachte an ihr Leben auf der Landzunge und in diesem entlegenen und zweifellos schwer zu bewirtschaftenden Haus, fragte sich, was sie gesucht haben mochte, als sie an diese windgepeitschte Küste floh, und ob sie es gefunden hatte.
    »Wann beschloß man, daß der Reverend und Mrs. Copley ihre Tochter besuchen sollten?« erkundigte sich Rikkards.
    »Am letzten Freitag, nachdem Christine Baldwin ermordet worden war. Sie sorgte sich schon seit einiger Zeit um die beiden und drängte sie, doch endlich zu kommen, aber erst die Tatsache, daß der letzte Mord praktisch hier vor der Haustür geschah, hat sie dann überzeugt. Ich sollte sie am Sonntag abend nach Norwich zu dem Zug um 8 Uhr 30 bringen.«
    »War das allgemein bekannt?«
    »Es wurde vermutlich darüber geredet. Man könnte sagen, es war allgemein bekannt, als es hier Leute gibt, die davon wußten. Mr. Copley mußte Vorkehrungen wegen der Dienstleistungen treffen, die er in Anspruch nimmt. Ich habe Mrs. Bryson im Laden gesagt, daß ich nur einen Viertelliter Milch pro Tag brauche statt die üblichen eineinviertel Liter. Doch, man könnte sagen, daß es allgemein bekannt war.«
    »Und warum haben Sie die beiden nicht, wie verabredet, nach Norwich gefahren?«
    »Weil der Wagen plötzlich kaputtging, während sie ihre Sachen packten. Ich dachte, das hätte ich Ihnen bereits erklärt. Als ich ihn gegen halb 7 aus der Garage holte und vor die Haustür fuhr, war noch alles in Ordnung, doch als ich sie um Viertel nach 7 endlich ins Auto verfrachtet hatte und wir abfahren wollten, sprang er nicht mehr an. Also hab ich Mr. Sparks in der Garage in Lydsett angerufen und ihn gebeten, sie mit dem Taxi zur Bahn zu bringen.«
    »Ohne Sie?«
    Bevor sie jedoch antworten konnte, stand Oliphant auf, ging zu einer Stehlampe in seiner Nähe hinüber und schaltete sie wortlos ein. Das helle Licht flutete auf die drei hernieder. Sekundenlang dachte Rikkards, ihre Gastgeberin würde protestieren. Sie hatte sich halb aus dem Sessel erhoben, ließ sich aber zurücksinken und fuhr fort, als wäre nichts geschehen. »Mir war keineswegs wohl dabei. Es wäre mir viel lieber gewesen, wenn ich sie selbst in den Zug gesetzt hätte; Mr. Sparks konnte den Auftrag jedoch nur annehmen, wenn er direkt nach Ipswich weiterfahren konnte, wo er jemanden abholen mußte. Aber er hat mir versprochen, bei ihnen zu bleiben, bis sie auf ihren Plätzen saßen. Und schließlich sind sie keine Kinder; sie sind durchaus in der Lage, an der Liverpool Street auszusteigen. Das ist sowieso die Endstation, und außerdem wollte die Tochter sie dort abholen.«
    Warum, fragte sich Rikkards, verhält sie sich nur so ablehnend? Sie kann sich doch kaum für ernsthaft verdächtig halten. Und dennoch – warum nicht? Er hatte schon weniger wahrscheinliche Mörder erlebt. Er erkannte ihre Angst an einem Dutzend winziger Zeichen, die keinem erfahrenen Polizisten entgehen konnten: dem Zittern der Hände, das sie zu unterdrücken suchte, sobald sein Blick darauf fiel, dem nervösen Tic im Augenwinkel, der Unfähigkeit, auch nur eine Sekunde stillzusitzen, unmittelbar gefolgt von einer unnatürlichen, beherrschten Ruhe, der leichten Verkrampfung in der Stimme, der Art, wie sie mit einer Miene, die Trotz mit Standhaftigkeit verband, energisch seinem Blick begegnete. Einzeln betrachtet war jedes ein Zeichen von natürlichem Streß; alle zusammen verrieten sie etwas, das ziemlich nahe an panische Angst

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