Vorsatz und Begierde (German Edition)
Ipswich heimfuhren. Amy hatte ihn mit einem Aufschrei zum Halten veranlaßt, die Kätzchen auf den Arm genommen, den Kopf zurückgeworfen und lauthals die Grausamkeit der Menschen verwünscht. Sie schliefen auf Amys Bett, schlabberten Milch oder Tee aus Untertassen, ließen sich Timmys derbe Liebkosungen gefallen und begnügten sich mit dem billigsten Katzenfutter aus Dosen. Neil war über ihre Anwesenheit beglückt, da sie ihm zu gewährleisten schienen, daß Amy bei ihm bleiben würde.
Amy hatte er an einem Nachmittag Ende Juni vergangenen Jahres aufgelesen, so wie man einen hübschen, vom Meer glattgeschliffenen Stein aufliest. Sie war am Strand gesessen, die angezogenen Beine umklammernd, und hatte aufs Meer hinausgeblickt. Timmy lag schlafend auf einer Matte neben ihr. Er trug einen blauen, flauschigen, mit gestickten Enten verzierten Strampelanzug, aus dem sein rundliches Gesichtchen – zufrieden, rosig, die zarten dichten Wimpern auf den prallen Bäckchen – wie das einer bemalten Porzellanpuppe hervorlugte. Auch Amy hatte etwas von der klaren, stilisierten Anmut einer Puppe – ein fast runder Kopf auf einem länglichen, zarten Hals, eine sommersprossige Stupsnase, ein kleiner Mund mit einer hübsch geschwungenen, vollen Oberlippe. Ihr dichtes, kurzgeschnittenes Haar war naturblond, hatte aber orangegelb eingefärbte Spitzen, die die Sonne zum Leuchten brachte, während sie in der leichten Brise zitterten. Einen Moment lang sah das so aus, als führte der Kopf, getrennt vom übrigen Körper, ein Eigenleben. Dann wechselte das Bild, und Neil glaubte, eine strahlende exotische Blume vor sich zu haben. Er konnte sich an jede Einzelheit erinnern. Verschossene blaue Jeans hatte sie getragen, und ein weißes Sweatshirt, unter dem sich die prallen Brustwarzen und der straffe Busen abzeichneten. Offensichtlich war der dünne Baumwollstoff kein Schutz gegen die auffrischende Brise, die über den Strand strich. Als er sich ihr zögernd näherte – er wollte sie nicht erschrecken –, musterte sie ihn forschend mit ihren eindrucksvollen, schräg geschnittenen, blauvioletten Augen.
Bei ihr angekommen, sagte er: »Ich bin Neil Pascoe. Ich wohne da drüben in dem Caravan am Rande des Steilhangs. Ich mache mir jetzt Tee. Willst du eine Tasse mittrinken?«
»Mach, was du willst«, erwiderte sie und wandte sich ab, um wieder aufs Meer hinauszublicken.
Fünf Minuten später kam er, in jeder Hand eine Keramiktasse mit überschwappendem Tee, den sandigen Hang hinabgeschlittert. »Darf ich mich neben dich setzen?« hörte er sich fragen.
»Wie du willst. Der Strand ist für alle da.«
Er hockte sich neben sie, und gemeinsam schauten sie wortlos in die Weite. Wenn er sich jetzt daran erinnerte, verwunderte ihn seine Kühnheit, die scheinbare Unausweichlichkeit, die natürliche Zwangsläufigkeit dieser Begegnung. Erst nach einer Weile fand er den Mut, sie zu fragen, wie sie denn hierher gelangt sei.
»Mit dem Bus bis zu dem Kaff da«, antwortete sie mit einem Achselzucken. »Danach bin ich gelaufen.«
»Ein langer Weg, wenn man noch ein Kind mitschleppen muß.«
»Ich bin’s gewöhnt, lange Wege zu gehen und mein Kind mitzuschleppen.«
Als er darauf behutsam weitere Fragen stellte, erzählte sie ihm ihre Geschichte, ohne Selbstmitleid, ja beinahe ausdruckslos, als wären die Ereignisse jemand anderem zugestoßen. Keine ungewöhnliche Geschichte, dachte er. Sie lebte von der Sozialhilfe, in einer kleinen Pension in Cromer. Zuvor hatte sie in einem Abbruchhaus in London gewohnt. Da war sie auf den Einfall gekommen, daß Seeluft dem Kind im Sommer guttun würde. Doch das klappte nicht so recht. Die Pensionsinhaberin mochte nämlich kleine Kinder nicht. Außerdem rückte die Sommerurlaubszeit immer näher, was bedeutete, daß sie für ihre Zimmer höhere Preise verlangen konnte. Amy glaubte zwar nicht, daß man sie vor die Tür setzen könnte, aber sie wollte nicht länger da wohnen, jedenfalls nicht bei dieser bösartigen Zicke.
»Kann dir denn der Vater des Kindes nicht weiterhelfen?« fragte er.
»Es hat keinen Vater. Selbstverständlich hatte es einen – ich meine, es ist nicht Jesus Christus. Aber jetzt hat es keinen mehr.«
»Willst du damit sagen, daß er tot ist oder sich verdrückt hat?«
»Eins von beiden, was weiß ich. Wenn ich wüßte, wer er ist, könnte ich auch herausbringen, wo er sich aufhält, kapiert?« Danach schwiegen sie abermals. Sie trank hin und wieder einen Schluck Tee, und das Kind
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