Vorsatz und Begierde (German Edition)
Auseinandersetzung. In der nächsten Ausgabe seiner Info-Postille hatte er über den Vorfall berichtet, und zwar in einer Ausdrucksweise, die ihm mittlerweile unklug vorkam. Hilary Robarts hatte ihn dann auch prompt wegen Verleumdung verklagt. In vier Wochen sollte die Gerichtsverhandlung stattfinden. Er wußte, daß ihm der Ruin drohte, ob er nun recht bekam oder nicht. Wenn sie nicht in den nächsten paar Wochen das Zeitliche segnete – und warum sollte sie das? –, bedeutete das höchstwahrscheinlich das Ende seines Lebens auf der Landzunge, das Ende seiner Organisation, das Ende all dessen, was er geplant hatte und auch durchsetzen wollte.
Amy tippte Anschriften auf die Umschläge, in denen die endgültige Fassung seines Info-Briefes verschickt werden sollte. Als der Stapel immer höher wurde, begann er die Bögen zusammenzufalten und vorsichtig in die Umschläge zu schieben. Um Geld zu sparen, hatte er kleinere Umschläge von minderer Qualität gekauft. Doch diese barsten leicht. Auf seiner Adressenliste standen an die zweihundertfünfzig Personen und Institutionen, von denen nur wenige die PANUP tatkräftig unterstützten. Die meisten zahlten keinerlei Beiträge an die Organisation. Der Großteil der Info-Blätter wurde unaufgefordert den Behörden, Geschäften und Betrieben in der Umgebung von Larksoken und Sizewell zugeschickt. Er fragte sich oft, wie viele der zweihundertfünfzig Briefe wohl gelesen wurden. Nicht selten beschlichen ihn Angst und Niedergeschlagenheit, wenn er an die Gesamtkosten seines Engagements dachte. Überdies war der Info-Brief in diesem Monat nicht sein bester. Als er eine Kopie davon noch einmal las, bevor er ihn endgültig ins Kuvert steckte, fand er ihn schludrig, zusammenhanglos. Das Hauptziel war die Widerlegung des immer häufiger vorgebrachten Arguments, mit der Kernenergienutzung könne man den umweltschädlichen Treibhauseffekt vermeiden. Aber seine kunterbunten Gegenvorschläge – von der Sonnenenergie bis hin zu Glühbirnen mit einer Energieeinsparung von fünfundsiebzig Prozent – kamen ihm selbst naiv und kaum überzeugend vor. In seinem Artikel hieß es, Atomkraftwerke könnten die fossilen Brennstoffe nicht verdrängen, es sei denn, alle Länder errichteten von 1995 an fünf Jahre hindurch jede Woche sechzehn neue Reaktoren, ein Programm, das sich nicht durchhalten ließ und obendrein die nukleare Bedrohung in unerträglichem Maße steigern würde. Doch seine Statistiken wie auch sonstigen Daten stammten aus vielerlei Quellen und waren nicht immer hieb- und stichfest. Was immer er da darlegte, war eigentlich nicht von ihm. Der restliche Teil des Info-Briefes bestand aus einer Ansammlung einschlägiger Horrorgeschichten, die er zumeist schon früher veröffentlicht hatte; darin zählte er angebliche, bislang vertuschte Verstöße gegen die Betriebssicherheit von Reaktoren auf, äußerte Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der veralteten Magnox-AKWs und stellte die bisher ungelösten Probleme dar, die der Transport und die Endlagerung des Atommülls aufwarfen. Außerdem hatte er sich bei dieser Ausgabe schwergetan, einigermaßen intelligente Zuschriften für die Leserbriefspalte zu finden. Manchmal kam es ihm so vor, als würden nur irgendwelche Spinner im Nordosten Norfolks den PANUP-Info-Brief lesen, sonst aber niemand.
Amy hackte weiter auf der Schreibmaschine herum, deren Tasten sich hin und wieder verhedderten. »Das ist ja ein Scheißding, Neil«, maulte sie. »Mit der Hand könnte man die Adressen viel schneller schreiben.«
»Geht doch schon viel besser, seitdem du sie gereinigt hast. Außerdem macht sich das neue Farbband gut.«
»Trotzdem ist es ein Scheißding. Warum kaufst du dir nicht ’ne neue? Das würde Zeit sparen.«
»Ich kann mir’s nicht leisten.«
»Du kannst dir keine neue Schreibmaschine leisten, meinst aber, du könntest die Welt retten.«
»Man braucht doch keinen Besitz, wenn man die Welt verbessern will, Amy! Jesus Christus hatte nichts, kein Zuhause, kein Geld, keinerlei Besitz.«
»Als ich hier einzog, sagtest du, du wärst nicht religiös.«
Es verblüffte ihn immer wieder, daß sie sich, obwohl sie sich nicht groß um ihn kümmerte, an Ansichten erinnerte, die er vor Monaten einmal geäußert hatte.
»Für mich ist Christus kein Gott«, entgegnete er. »Ich glaube nicht, daß es einen Gott gibt. Aber ich glaube an das, was er gelehrt hat.«
»Wenn er kein Gott war, verstehe ich nicht, warum das, was er gelehrt hat, so
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