Vorsatz und Begierde (German Edition)
Sache, für die zu sterben es sich lohnt. Davon gibt’s nicht allzu viele.«
»Es gibt überhaupt nichts, wofür es sich lohnt zu sterben – es sei denn einen Menschen, den man liebt. Ich würde nur für Timmy sterben.«
»Das ist keine Sache, das ist Sentimentalität.«
»Wenn ich für eine Sache sterben will, dann werde ich mir die, verdammt noch mal, selber aussuchen! Und für den Terrorismus auf gar keinen Fall! Bestimmt nicht für Schweine, die Bomben in Pubs werfen, die meine Freunde in die Luft jagen und sich einen Dreck um die kleinen Leute kümmern, weil wir ja einfach nicht wichtig sind – oder?«
»Du mußt doch irgendwas vermutet haben«, warf Caroline ihr vor. »Du bist nicht gebildet, aber bestimmt nicht dumm. Wenn du dumm wärst, hätte ich dich nicht ausgesucht. Du hast mir zwar niemals Fragen gestellt, und wenn, dann hättest du keine Antwort gekriegt, aber du kannst dir doch nicht eingebildet haben, daß wir all diese Mühe auf uns nehmen, nur um ein paar verängstigte Kätzchen oder Heuler zu retten, die sonst abgeschlachtet würden!«
Habe ich das wirklich geglaubt? fragte sich Amy. Vielleicht hatte sie an die Absicht geglaubt, es aber niemals für möglich gehalten, daß sie tatsächlich realisiert werden könnte. Sie hatte weder an dem Willen dieser Leute noch an ihrer Fähigkeit zur Durchführung gezweifelt. Und bisher hatte es ja auch Spaß gemacht, sich an einer Verschwörung zu beteiligen. Sie hatte die Erregung genossen, das Bewußtsein, vor Neil ein Geheimnis zu haben, diesen halb gespielten frisson der Angst, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit den Caravan verließ, um in den Abteiruinen Postkarten zu verstecken. In jener Nacht, als sie um ein Haar von Mrs. Dennison und Mr. Dalgliesh erwischt worden war, hatte sie sich hinter einem Wellenbrecher versteckt und fast laut aufgelacht. Auch das Geld war ihr gelegen gekommen: großzügige Zahlungen für einfache Aufgaben. Und dann war da der Traum gewesen, das Bild einer Flagge, deren Design noch unbekannt war, die sie jedoch über dem Kraftwerk hissen würden und die Respekt, Gehorsam, unmittelbare Reaktionen zeitigen würden. Der ganzen Welt würden sie damit sagen: »Aufhören. Sofort aufhören!« Für die gefangenen Tiere im Zoo würden sie sprechen, für die bedrohten Wale, die verseuchten, kranken Robben, die gequälten Versuchstiere, die verängstigten Tiere, die in den Schlachthöfen in den Gestank von Blut und ihren eigenen Tod getrieben wurden, die bewegungsunfähigen Hennen in ihren Käfigen, die nicht ein einziges Mal picken durften, für die ganze mißbrauchte und ausgebeutete Tierwelt. Aber das war nur ein Traum gewesen. Dies dagegen war Wirklichkeit: die schwankenden Bohlen unter ihren Füßen, der dunkle, erstickende Nebel, die öligen Wellen, die gegen den schmalen Bootskörper schwappten. Die Wirklichkeit war Tod; eine andere gab es nicht. Alles in ihrem Leben, von dem Augenblick an, da sie Caroline im Pub von Islington kennengelernt hatte und mit ihr zusammen in jenes Wohnloch zurückgekehrt war, hatte zu diesem Augenblick der Wahrheit, diesem unaussprechlichen Entsetzen geführt.
»Ich will zu Timmy«, klagte sie. »Was soll aus meinem Baby werden? Ich will zu meinem Baby!«
»Du wirst ihn nicht allein lassen. Nicht für immer. Sie werden eine Möglichkeit finden, euch wieder zusammenzuführen.«
»Sei nicht so dumm! Was für ein Leben wäre das für uns, mit einer Terroristenbande? Die werden ihn genauso abschreiben wie alle anderen.«
»Und was ist mit deinen Eltern?« erkundigte sich Caroline.
»Könnten die ihn nicht zu sich nehmen? Sich um ihn kümmern?«
»Bist du verrückt? Ich bin von zu Hause weggelaufen, weil mein Stiefvater meine Ma verprügelt hat. Und als er dann auch noch mit mir anfing, bin ich weg. Glaubst du, ich würde denen Timmy überlassen?«
Ihre Mutter hatte diese Gewalttätigkeit anscheinend genossen – oder wenigstens das, was nachher kam. In den beiden Jahren, bevor sie weggelaufen war, hatte Amy eines gelernt: nur noch mit einem Mann zu schlafen, der sie mehr liebte als sie ihn.
»Was ist mit Pascoe?« erkundigte sich Caroline. »Bist du sicher, daß er nichts weiß?«
»Selbstverständlich weiß er nichts. Wir waren ja nicht mal ein Liebespaar. Er begehrte mich ebensowenig wie ich ihn.« Aber es gab jemanden, den sie begehrt hatte, und plötzlich erinnerte sie sich daran, wie sie mit Alex in den Dünen gelegen hatte, an den Geruch von Meer, Sand und Schweiß, an seine
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