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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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häufiger gegeben hatte. Doch es gab sie auch heute noch, diese gewissenhaften, unbestechlichen Fahnder mit beschränkter Phantasie und etwas mehr Intelligenz, die nie auf den Gedanken kamen, daß man die Übel dieser Welt nachsichtiger behandeln müsse, weil sie häufig unerklärlich und ihre Verursacher unselige Menschen waren.
    Rikkards musterte die langen Borde mit den vielen Büchern, das knisternde Holzfeuer im Kamin, das Ölbild mit dem viktorianischen Bischof über dem Kaminsims, als wollte er sich bewußt jede Einzelheit einprägen, ließ sich sodann in den Sessel fallen und streckte mit einem zufriedenen Seufzer die langen Beine aus. Dalgliesh fiel ein, daß er damals mit Vorliebe Bier getrunken hatte. Jetzt akzeptierte er Whisky, meinte aber, daß ihm vorher eine Tasse Kaffee guttun würde. Zumindest eine Gewohnheit hatte sich gewandelt.
    »Tut mir leid«, sagte er, »daß Sie Susie, meine Frau, nicht kennenlernen werden, solange Sie hier sind, Mr. Dalgliesh. In ein paar Wochen bekommt sie unser erstes Kind. Sie ist jetzt bei ihrer Mutter in York. Meine Schwiegermutter wollte nicht, daß sie in Norfolk bleibt, solange sich der Whistler noch herumtreibt und ich ständig Überstunden machen muß.«
    Er sagte es mit einer gewissen Verlegenheit, als sei er und nicht Dalgliesh der Gastgeber, als müsse er sich für die unerwartete Abwesenheit der Gastgeberin entschuldigen.
    »Es ist wohl eine natürliche Regung«, sprach er weiter, »daß eine Tochter, die einzige Tochter übrigens, in so einer Zeit bei ihrer Mutter weilen möchte, zumal wenn es das erste Kind ist.«
    Dalglieshs Frau hatte nicht bei ihrer Mutter weilen mögen; sie hatte bei ihm sein wollen und sich das mit solchem Ungestüm ausbedungen, daß er sich hinterher gefragt hatte, ob sie nicht irgendwelche Vorahnungen gehabt haben könnte. Das wußte er noch, auch wenn er sich ihr Gesicht nicht mehr vorstellen konnte. Seine Erinnerung an sie, die er, seinen Kummer und ihre Liebe zueinander verratend, seit Jahren bewußt unterdrückt hatte, weil er die Qualen nicht länger ertragen konnte, war allmählich einer jungenhaften, romantischen Traumvorstellung von Zartheit und Schönheit gewichen, der die nagende Zeit nichts mehr anhaben konnte. An das Gesicht seines Sohnes gleich nach der Geburt konnte er sich dagegen gut erinnern. Es erschien ihm auch manchmal in seinen Träumen, jenes bleiche, unschuldige Kinderantlitz mit dem reizvollen, wissenden Ausdruck von Zufriedenheit, als hätte sein Sohn in der kurzen Spanne seines Lebens alles gesehen, alles erfahren, was es da gab, und schließlich von sich gewiesen. Deswegen dachte er sich, daß er wohl der letzte sei, von dem man Ratschläge oder Hilfe bei Schwangerschaftsproblemen erwarten durfte. Zudem ahnte er, daß Rikkards’ Bekümmertheit über die Abwesenheit seiner Frau tiefer ging, daß er nicht nur ihre Gesellschaft vermißte. Er stellte noch die üblichen Fragen nach dem Gesundheitszustand seiner Frau und floh dann in die Küche, um den Kaffee zuzubereiten.
    Welche geheimnisvolle Regung ihm auch immer seine Gedichte entlockt haben mochte, sie hatte ihn auch für andere Sehnsüchte, auch für die Liebe geöffnet. Oder war es umgekehrt gewesen? Hatte etwa die Liebe ihm die Gedichte entlockt? Sie schien sogar seinen Job beeinflußt zu haben. Während er die Kaffeebohnen mahlte, grübelte er über die Zwiespältigkeiten des Lebens nach. Wenn ihm seine Verse nicht eingefallen wären, hätte er seinen Job nicht nur lästig, sondern zuweilen auch abstoßend gefunden. Jetzt ertrug er, daß Rikkards in seine Abgeschiedenheit eindrang, weil er in ihm einen Gesprächspartner suchte. Die ihm neue Gutmütigkeit und Duldsamkeit verstörte ihn ein wenig. Sich zu mäßigen war dem Charakter zweifellos zuträglicher als Niederlagen. Aber wenn er es zu weit trieb, würde er noch seinen Elan einbüßen. Als er freilich fünf Minuten später die beiden Keramiktassen hineintrug und sich in seinen Sessel setzte, amüsierte ihn schon wieder der Kontrast zwischen Rikkards’ Beschäftigung mit den Gewalttaten eines Psychopathen und der friedvollen Atmosphäre der Mühle. Das Holzfeuer prasselte nicht mehr, sondern glühte behaglich vor sich hin. Und der Wind, der auf der Landzunge nur selten ruhte, spielte wie ein gutmütiger, leise raunender Geist in den Klappern der Mühle. Adam war froh, daß nicht er den Whistler dingfest machen mußte. Die Aufklärung von Serienmorden war frustrierender, schwieriger,

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