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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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näherten sich der Abtei. Das grasbewachsene Gelände wurde immer unebener. Sie wäre beinahe gestolpert, wenn er sie nicht aufgefangen hätte.
    »Zuletzt ging es nur um zwei Briefe«, sprach sie weiter.
    »Man verlangte von mir, daß das Schwarze Brett nicht mehr schwarz genannt werden dürfe. Schwarz oder weiß, wo ist da der Unterschied? Ich konnte mir nicht vorstellen – kann’s heute noch nicht –, daß ein vernünftiger Mensch, einerlei, welche Hautfarbe er hat, an dem Ausdruck Schwarzes Brett Anstoß nehmen kann. Es heißt nun mal von jeher Schwarzes Brett. Der Ausdruck an sich kann doch niemand kränken! Ich habe ihn zeitlebens gebraucht. Wie sollte mich da jemand zwingen, meine eigene Sprache zu ändern? Aber in diesem Augenblick erscheint mir das alles – hier auf der Landzunge, unter diesem Himmel, in diesem grenzenlosen Raum – so belanglos. Vielleicht habe ich etwas Unbedeutendes zum Prinzip erhoben.«
    »Agnes Poley hätte sie verstanden«, erwiderte Dalgliesh.
    »Meine Tante hat sich die vorhandenen Dokumente angesehen und mir von ihr erzählt. Sie bestieg den Scheiterhaufen, weil sie hartnäckig an ihrer unverrückbaren Sicht des Universums festhielt. Sie mochte nicht glauben, daß Christus leibhaftig im Sakrament zugegen ist und gleichzeitig im Himmel zur Rechten Gottes thront. Das, behauptete sie, sei wider aller Vernunft. Alex Mair könnte sie als Patronin seines AKWs ansehen, als Sinnbild der Rationalität.«
    »Das war was anderes. Sie glaubte, daß sie dadurch ihre unsterbliche Seele gefährdete.«
    »Wer weiß schon, was sie wirklich geglaubt hat?« erwiderte Dalgliesh. »Ich denke, sie wurde von einer gottgesandten Unbeugsamkeit getrieben, und dafür bewundere ich sie.«
    »Mr. Copley würde einwenden, daß sie im Unrecht war, nicht wegen ihrer Halsstarrigkeit, sondern ihrer erdgebundenen Sicht der Eucharistie. Ich bin da zu wenig informiert. Aber für seine von der eigenen Vernunft begründete Weltsicht so einen gräßlichen Tod zu erleiden ist schon beeindruckend. Jedesmal, wenn ich Alice besuche, lese ich die Gedenktafel. Das ist meine Hommage an sie. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, daß sie in Martyr’s Cottage noch irgendwie präsent ist. Sie etwa?«
    »Ich auch nicht. Ich vermute, daß eine Zentralheizung und moderne Möbel Geister abschrecken. Haben Sie Alice Mair übrigens schon gekannt, bevor sie hierherkamen?«
    »Ich kannte überhaupt niemand. Ich habe auf eine Anzeige der Copleys in der Zeitschrift The Lady geantwortet. Sie boten Kost und Logis für leichte Hausarbeit, wie sie sich ausdrückten. Das ist eine schönfärberische Umschreibung für Staubwischen und dergleichen, aber natürlich bleibt es nicht dabei. Alice aber machte mir den Aufenthalt erst angenehm. Ich hatte nicht geahnt, wie sehr ich die Freundschaft einer Frau vermißte. In der Schule gab es nur Schutz- und Trutzbündnisse. Politische Differenzen wurden dadurch nicht überbrückt.«
    »Agnes Poley kannte diese Atmosphäre«, sagte er. »Sie hat in ihr leben müssen.«
    Schweigend gingen sie dahin und hörten nur das Rascheln der hohen Grasbüschel, die ihre Beine streiften. Als sie sich dem Meer näherten, wurde das Rauschen mit einemmal zum bedrohlichen Tosen, als hätte ein Wesen, das vorhin noch geruht hatte, sie plötzlich bemerkt und würde nun seine ganze Macht demonstrieren. Und als Dalgliesh zum Himmel emporblickte, zu den Myriaden winziger Sterne, kam es ihm so vor, als könne er spüren, wie sich die Erde unter ihm drehte, daß die Zeit stehengeblieben sei, daß Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – die Ruinen der Abtei, die Überbleibsel des letzten Krieges, die zerfallenden Strandbunker, die Windmühle, das AKW – zu einem Augenblick verschmolzen. Er fragte sich, ob den früheren Besitzern von Martyr’s Cottage der Text für die Gedenktafel in einem solchen Augenblick eingefallen sein mochte, wo einem jegliche zeitliche Orientierung fehlte, wo nur das Rauschen der rastlosen See zu hören war.
    Plötzlich blieb seine Begleiterin stehen.
    »Da war ein Licht in der Ruine«, sagte sie. »Es blinkte zweimal auf.«
    Wortlos schauten sie hinüber. Aber nichts regte sich.
    »Ich bin sicher, daß ich es gesehen habe«, sagte sie mit entschuldigendem Unterton. »Auch eine schattenhafte Bewegung in der Nähe des Ostfensters. Haben Sie nichts bemerkt?«
    »Ich habe mir den Himmel angeschaut.«
    »Tja, jetzt ist’s verschwunden«, sagte sie bedauernd. »Vielleicht habe ich es mir auch nur

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