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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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versetzt. Ich könnte Ihnen auch sagen, wie viele Anschläge sie pro Minute schreibt und wie schnell sie stenographiert, falls es Sie interessiert.«
    Sie wandte sich um und musterte Alex Mair. »Es sieht ganz so aus«, sagte sie, »als würde der Whistler in mancherlei Hinsicht seine Kreise immer enger ziehen, nicht wahr?« Nachdem sie sich endgültig verabschiedet hatten, verließen sie den nach Kaminfeuer, Essen und Wein riechenden Raum und traten in die frische Seeluft hinaus. Es dauerte eine Weile, bis Dalglieshs Augen sich auf das Halbdunkel einstellten und der Bogen der Landzunge sichtbar wurde, mit all ihren Einzelheiten, die im Widerschein der hoch am Himmel stehenden Sterne seltsam verzerrt wirkten. Im Norden sah er das AKW, ein Meer funkelnder weißer Lichter. Der kubische Bau selbst hob sich vom blauschwarzen Himmel kaum ab.
    »Als ich von London hierher kam«, sagte Meg Dennison, »bedrückte mich die schiere Größe des AKWs, mit der es die ganze Umgebung zu dominieren scheint. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Es stört mich zwar immer noch, aber ich finde es auch irgendwie beeindruckend. Alex versucht zwar, dem Bau jeglichen geheimnisvollen Nimbus zu nehmen, und sagt, er habe nur die Funktion, auf effiziente und umweltschonende Weise Strom für das nationale Versorgungsnetz zu produzieren. Der Hauptunterschied zwischen diesem und einem herkömmlichen Kraftwerk sei, daß es hier keinen riesigen Kohleberg gebe, mit dem die Umwelt verschmutzt würde. Aber für meine Generation bedeutet die Atomkraft noch immer jene legendäre pilzförmige Wolke. Und heutzutage steht sie auch für Tschernobyl. Wenn da drüben am Horizont eine mittelalterliche Burg stünde, wenn wir von morgen an da drüben Türme und Zinnen sähen, würden wir den Anblick sicherlich viel schöner finden.«
    »Mit Zinnen würde es zweifellos anders wirken«, stimmte Dalgliesh zu. »Ich verstehe, was Sie meinen. Auch mir würde die Landzunge ohne den Klotz da drüben besser gefallen, aber inzwischen sieht es fast schon so aus, als hätte er ein Recht, da zu stehen.«
    Sie wandten sich von der glitzernden Lichterkette ab und schauten nach Süden auf das zerfallende Wahrzeichen einer ganz anders gearteten Macht. Vor ihnen am Rand des Steilhangs ragten die Ruinen der Benediktinerabtei empor wie eine Sandburg, die eine Flutwelle teilweise hinweggerissen hatte. Dalgliesh sah den großen leeren Bogen des einstigen Ostfensters und dahinter das matt schimmernde Meer. Darüber stand, wie ein pendelndes Weihrauchfaß, ein fahler, runder Mond. Als würden sie von einer unsichtbaren Macht angezogen, wichen die beiden vom Weg ab und gingen über den steinigen Boden auf die Abtei zu.
    »Wie wär’s mit einem Spaziergang dorthin?« fragte Dalgliesh. »Ich hab’s nicht eilig. Hoffentlich halten das auch Ihre Schuhe aus?«
    »Es wird schon gehen«, antwortete sie. »Ja, ich habe auch Lust dazu. Nachts ist der Anblick wirklich bezaubernd. Außerdem brauche ich mich nicht zu beeilen. Die Copleys warten nicht auf mich. Und morgen, wenn ich ihnen erzählt habe, daß sich der Whistler auch in unserer Gegend herumtreibt, werde ich sie nach Einbruch der Dunkelheit nur ungern allein lassen. Vielleicht ist es für mich die letzte unbeschwerte Nacht.«
    »Ich glaube nicht, daß die beiden in Gefahr sind, wenn Sie die Tür nachts gut verschließen. Außerdem sind all seine Opfer bisher junge Frauen gewesen. Und er mordet nur im Freien.«
    »Das sage ich mir auch. Wahrscheinlich haben die beiden keine Angst. Manchmal können solche Besorgnisse alten Menschen nichts mehr anhaben. Alltäglichen Ärger nehmen sie viel wichtiger als solche Ungeheuerlichkeiten. Aber ihre Tochter ruft ständig an und fordert sie auf, zu ihr nach Wiltshire zu kommen, solange er nicht gefaßt ist. Sie sträuben sich zwar, aber sie ist da sehr hartnäckig. Wenn sie abends anruft und ich nicht im Haus bin, werden sie unsicher.« Sie schwieg und sagte dann nach einer Weile: »Es war eine interessante, wenngleich auch sonderbare Dinnerparty, die ein unschönes Ende fand. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Mr. Lessingham die Einzelheiten verschwiegen hätte. Aber ich denke mir, es hat ihm geholfen, daß er darüber reden konnte. Er lebt ja ganz allein.«
    »Es wäre nahezu übermenschlich gewesen, nicht darüber zu sprechen. Trotzdem hätte er gewisse Details für sich behalten sollen.«
    »Auch Alex wird es von nun an schwerer haben. Einige seiner Mitarbeiterinnen verlangen bereits,

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