Vorsatz und Begierde (German Edition)
Kopf gesetzt hat. Und meine Mutter ist Wachs in seinen Händen. Ich kann nur hoffen, daß Sie nicht annehmen, Ihre Anstellung sei nur eine Übergangslösung.«
»Eine Übergangslösung vielleicht schon«, hatte Meg Dennison erwidert. »Aber keine kurzfristige. Ich kann nicht versprechen, daß ich für immer bleibe. Ich brauche Zeit und Ruhe, um mir über meine Zukunft klarzuwerden. Außerdem könnte ich ja Ihren Eltern auch mißfallen.«
»Zeit und Ruhe brauchen Sie also – na, uns soll es recht sein.
Ich meine, das ist besser als nichts. Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie eine Kündigungsfrist von ein, zwei Monaten einhalten würden. Und machen Sie sich nur keine Gedanken darüber, ob Sie meinen Eltern zusagen. Mit ihrem ungenügend ausgestatteten Haus und ihrem abgeschiedenen Leben auf einer Landzunge, wo es nur eine Klosterruine und ein Atomkraftwerk zu sehen gibt, werden sie sich schon mit dem abfinden müssen, was sie bekommen.«
Das war vor sechzehn Monaten gewesen, und Meg war immer noch da. Aber ihren Seelenfrieden hatte sie erst in der hübsch eingerichteten, behaglichen, heimeligen Küche von Martyr’s Cottage gefunden. Gleich zu Beginn ihrer Freundschaft hatte Alice – sie mußte eine Woche in London verbringen, und Alex war fortgefahren – ihr einen Reserveschlüssel für das Cottage in die Hand gedrückt, damit sie die Post durchsah und ihr nachschickte. Als sie wiederkehrte, wollte Meg ihr den Schlüssel zurückgeben. »Behalt ihn!« hatte Alice abgewehrt. »Vielleicht brauchst du ihn mal.«
Meg hatte ihn bisher nicht verwendet. Im Sommer stand die Haustür meistens offen. Und wenn sie mal zu war, schellte Meg. Aber der Besitz des Schlüssels, sein Anblick, sein Gewicht an ihrem Schlüsselbund versinnbildlichten für sie, wieviel Geborgenheit, wieviel Zutrauen eine Freundschaft schenken konnte. Sie war so viele Jahre ohne eine Freundin ausgekommen. Nun vergaß sie hin und wieder, daß sie noch nie erlebt hatte, wie behaglich man sich in Gesellschaft einer Frau fühlen konnte, die nichts, schon gar keine erotisch geprägte Zuneigung, von ihr verlangte.
Sie und ihr Mann – Martin war vor vier Jahren ertrunken – hatten sich nur gelegentlich mit Freunden und Bekannten getroffen, weil sie sich im Grunde selbst genügten. Ihre kinderlose Ehe war eine jener Verbindungen gewesen, die die Außenwelt fernhalten. Hin und wieder besuchten sie, um ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen zu genügen, eine Dinnerparty. Aber dann konnten sie es kaum erwarten, wieder in die Geborgenheit ihres kleinen Hauses zurückzukehren. Nach Martins Tod hatte sie, so kam es ihr heute vor, wie in einer dunklen, tiefen, engen, unsäglich bedrückenden Schlucht dahinvegetiert. Um einen Tag durchzustehen, mußte sie all ihre Lebensenergie, all ihre Kraft aufwenden. Wenn sie sich etwas vornahm, wenn sie arbeitete, wenn sie ihrem Kummer nachging, hatte sie nur den jeweiligen Tag im Auge. Hätte sie sich gestattet, an die Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre zu denken, die vor ihr lagen, wäre sie psychisch zusammengebrochen. Zwei Jahre war ihr Gemüt verdüstert gewesen. Selbst ihr Glaube hatte ihr nicht geholfen. Sie hatte ihn nicht verworfen, aber er war ihr unwichtig geworden. Seine Tröstungen waren wie eine Kerze, die nur kläglich die Dunkelheit erhellte. Als sich endlich nach zwei Jahren die beengende Schlucht unmerklich weitete und sich ihr erstmals die Aussicht auf ein normales Leben eröffnete, auf Lebensglück sogar, auf eine Welt, in der wieder die Sonne schien, wurde sie unwissentlich in die rassischen Auseinandersetzungen an ihrer Schule hineingezogen. Die älteren Kollegen und Kolleginnen hatten sich versetzen oder pensionieren lassen. Die neue Schulleiterin, der man dieses Amt anvertraut hatte, damit sie die gerade modischen politischen Dogmen durchsetzte, widmete sich ihrer Aufgabe mit kreuzzüglerischem Eifer und begann alles Abweichende auszumerzen. Inzwischen wußte Meg Dennison, daß sie von Anfang an das geeignete, vorbestimmte Opfer gewesen war. Sie war in ein neues Leben auf dieser Landzunge, in eine anders beschaffene Einsamkeit geflüchtet. Doch dann war sie Alice Mair begegnet. Kennengelernt hatten sie sich zwei Wochen nach Megs Ankunft, als Alice mit einem Koffer voll alter Sachen für den alljährlichen Basar zugunsten der St.- Andrew’s-Kirche in Lydsett zum Alten Pfarrhof gekommen war. Zwischen der Küche und der rückwärtigen Tür gab es einen sonst unbenützten Waschraum, in dem
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