Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
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Vorwort: Lebensmittelskandale à la carte
Vor rund 30 Jahren, Anfang der 1980er Jahre, veröffentlichte einer der Autoren dieses Buches, Udo Pollmer, sein Debüt «Iß und stirb – Chemie in unserer Nahrung». Es machte Furore und wurde zum Bestseller, weil es eines der ersten war, die akribisch die skandalösen Praktiken von Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie aufdeckten, Skandale, die meistenteils systematisch von den Medien vertuscht wurden. Damals war es dringend nötig, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dafür zu wecken.
Die Umweltbewegung hat im Laufe der Jahre so ziemlich alle darin enthaltenen Aussagen übernommen. Auch dann, wenn das Problem bereits gelöst war. Die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen vergeht kein Jahr, ohne dass einer oder mehrere Lebensmittelskandale von Verbraucherschützern oder Medien angeprangert werden. Die Verunsicherung der Öffentlichkeit scheint oberste Medienpflicht geworden zu sein. So mancher fragt sich längst, was man überhaupt noch mit gutem Gewissen essen oder trinken darf.
Ist das ein Zufall? Und wie kommt es eigentlich, dass man von so manchem Skandal, der den Medien zufolge fast schon Armageddon-Potenzial hat, später nichts mehr hört, wenn er schließlich über uns hinweggezogen ist, ohne größeren Schaden anzurichten? Wir haben eine ganze Reihe der wohl «bedeutendsten» Skandale der vergangenen Jahre einer genaueren Betrachtung unterzogen, haben uns gefragt, wem dieser unentwegte Alarmismus, der in diesem Land spätestens seit der BSE -Krise endemisch geworden ist, eigentlich nützt.
Cui bono?
ist die Standardfrage jedes Kriminalisten. Dabei wechseln die Nutznießer von Fall zu Fall: Mal sind es die Tierschützer und andere Spendensammler, mal die Pharmaindustrie und ein andermal jene Gouvernanten, die unsere freiheitliche Grundordnung am liebsten durch einen Nannystaat ersetzen würden. Die Verlierer stehen hingegen fest: Es sind die Verbraucher, und leider auch ehrliche Erzeuger und Verarbeiter.
Für die Campaigner, also jene Berufsgruppe, die sich ihre Brötchen mit dem Betreiben von Skandalen verdient, empfiehlt sich eine Dramaturgie, wie wir sie schon aus anderen Märchen kennen: Man nehme eine schon lange existente, aber bislang medial noch nicht ausgeschöpfte Bedrohung, ganz gleich, ob sie tatsächlich existiert (wie Räuber im finstren Tann oder BSE im Rinderhirn) oder nur eine Chimäre ist (wie feuerspeiende Drachen oder krebserregendes Acrylamid). Man garniere die Story mit emotionsgeladenen Bildern von halbnackten Hühnern oder Patienten mit Creutzfeldt-Jakob-Symptomen oder einer verzweifelten Mutter, die nach der Lektüre einer Zeitung von Angst erfüllt ist. Nun präsentiere man einen Schuldigen und empöre sich moralisch. Für die Rolle von Räuber und Drache eignen sich profitgierige Großkonzerne oder Landwirte, die sich «an der Natur versündigen». Nun betritt der edle Ritter die Bühne, meist der Dienstherr bzw. Auftraggeber der Campaigner, der mit furchtlosen Worten dem Lindwurm entgegentritt und die «Gerechtigkeitslücken» oder die «noch unbekannten Gefahren» anprangert. Zum Schutz der unschuldigen Maid – der erschrockenen Öffentlichkeit – fordert er nun neue Verbote und die Bestrafung der Sünder.
Vor 30 Jahren mangelte es nicht an krassen Missbräuchen in der Lebensmittelbranche – doch die Medien lehnten damals Berichte darüber meist mit dem Hinweis ab, man dürfe «den Verbraucher nicht verunsichern». War es früher vor allem die Industrie, die den Medien über ihre Anzeigenmacht den Rahmen der Berichterstattung vorgab, so sind es heute der Zeitgeist und dank wachsendem Wohlstand vor allem ideologische Weltbilder, die unter dem Stichwort «Gesundheit», «Ökologie» und «Tierschutz» propagiert werden – ohne jedoch diesen Zielen in der Praxis unbedingt einen Dienst zu erweisen. Es sind oft nur die Fassaden von Geschäftemachern und Spendensammlern, frei nach dem Motto «Vorne hui – hinten pfui».
Heute kommt es für den Bürger darauf an, die Spreu vom Weizen zu trennen und herauszufinden, wo wirklich Gefahren drohen oder wo sie nur herbeigeredet werden, um aus der resultierenden Angst Vorteile zu ziehen. «Es ist gefährlicher, zu heiraten, als Rindfleisch zu essen», spottete der Medienforscher Hans M. Kepperling auf dem Höhepunkt der BSE -Krise, denn die Gefahr sei effektiv größer, vom eigenen Lebenspartner ins Jenseits befördert zu werden, als durch den Genuss
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