Vorsatz und Begierde (German Edition)
meinst du nicht auch?« entgegnete er.
Jedenfalls würde er sie heiraten. Und nach drei Monaten würde er begreifen, daß sie recht gehabt hatte. Sie würde siegen, weil sie in dieser Hinsicht willensstärker war als er. Sie entsann sich der Worte ihres Vaters: »Es gibt nur dieses eine Leben, Mädchen. Aber man kann es nach seinen Wünschen gestalten. Dumme und Schwächlinge müssen wie Sklaven leben. Du bist gesund, siehst gut aus, bist intelligent. Du kannst dir nehmen, was du dir wünschst. Dazu braucht man bloß Mut und Willenskraft.« Dennoch hätten ihn diese Halunken fast zugrunde gerichtet. Aber er hatte sein Leben nach seinen Vorstellungen gelebt. Und Hilary würde es auch so halten.
Sie versuchte sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren und die Gedanken an Alex, an ihre gemeinsame Zukunft zu verdrängen. Aber sie konnte nicht länger stillsitzen. Sie ging durch die Küche zu der kleinen, nach hinten gelegenen Speisekammer, wo sie den Wein lagerte, und holte eine Flasche Rotwein. Dann entnahm sie dem Geschirrschrank ein Weinglas und schenkte es voll. Als sie zum Trinken ansetzte, spürte sie, daß der Rand eine winzige Scharte hatte. Aus einem angeschlagenen Glas mochte sie nicht trinken. Sie nahm ein anderes und goß den Wein aus dem angeschlagenen Glas hinein. Sie wollte das beschädigte Glas schon in den Mülleimer werfen, als sie, den Fuß auf dem Deckelpedal, zögerte. Es gehörte zu dem halben Dutzend Gläsern, die Alex ihr einmal geschenkt hatte. Vielleicht konnte es noch als Vase für Schneeglöckchen, Primeln oder Rosmarinzweige dienen. Sie trank den Wein aus, spülte beide Gläser und stellte sie umgekehrt auf das Abtropfbrett. Die Rotweinflasche ließ sie unverkorkt auf dem Tisch stehen. Der Wein war ohnehin zu kalt gewesen. Aber in einer Stunde hatte er sicherlich die richtige Temperatur.
Es war nach 9, Zeit für ihre abendliche Schwimmpartie. Sie ging nach oben in ihr Schlafzimmer, wo sie sich auszog, ein schwarzes Bikinihöschen überstreifte und in ihren blau-weißen Trainingsanzug und die alten, fleckigen, vom Meerwasser ausgelaugten Sandalen schlüpfte. In der Diele nahm sie noch das Stahlmedaillon vom Haken, in dem sie den Yale-Schlüssel zum Haus aufbewahrte und das sie sich vor dem Schwimmen an einem Lederriemen um den Hals hängte. Das Medaillon hatte ihr Alex zum Geburtstag geschenkt. Sie strich mit den Fingern darüber und lächelte hoffnungsvoll. Dann entnahm sie der Garderobenschublade noch eine Taschenlampe, schloß die Haustür und rannte, ein Handtuch um den Hals geschlungen, zum Strand.
Noch bevor sie die schlanken, rauhborkigen Stämme erreichte, roch sie schon den harzigen Duft der Kiefern. Vom Strand trennte sie jetzt nur noch ein gut fünzig Meter langer sandiger Pfad, auf dem eine Schicht von herabgefallenen Kiefernnadeln lag. Hier war es etwas dunkler. Der Mond stand silbrig schimmernd über den hohen Wipfeln. Aber sein Licht erhellte nicht überall den Boden, so daß sie die Taschenlampe anmachen mußte. Endlich trat sie aus dem Schatten der Bäume und sah vor sich den weißen, mondbeschienenen Sandstrand und das sanft wogende Meer. Sie ließ das Handtuch wie immer in eine kleine Mulde am Rand des Wäldchens fallen, zog den Trainingsanzug aus und reckte die Arme.
Schließlich streifte sie die Sandalen ab und lief über den Strand und die vom Wasser glattgeschliffenen Kiesel, den lautlos anrollenden Wogen entgegen. Sie rang nach Luft, als sie deren Kälte spürte. Doch das war wie immer bald vorbei, und die Wellen, die über sie hinwegglitten, schienen ebenso warm zu sein wie sie selbst. Sie schwamm selbstversunken dahin und entfernte sich, kräftig und gleichmäßig kraulend, immer weiter vom Strand. Sie wußte, wie lange sie im Wasser bleiben konnte. Bevor das Kältegefühl wieder einsetzte, mußte sie umkehren.
Nach einer Weile hörte sie auf zu schwimmen und ließ sich in Rückenlage, den Blick auf den Mond gerichtet, dahintreiben. Da war es wieder, dieses herrliche Gefühl. All die Mißstimmungen fielen von ihr ab, all die Ängste, all der Zorn, all das, was sie heute bedrückt hatte. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte sie. Auch ihr Optimismus kehrte wieder. Alles würde sich zum Besten wenden. Sie würde Pascoe noch eine Woche bangen lassen und dann ihre Klage zurückziehen. Einen so unbedeutenden Menschen konnte man doch nicht hassen; außerdem hatte ihr Anwalt schon recht. Mit der Übernahne von Scudder’s Cottage konnte sie sich Zeit lassen. Sein
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