Vorsatz und Begierde (German Edition)
Besessenheit auszureden, sich all die Unannehmlichkeiten vor Augen geführt, all die Nächte mit wenig Schlaf, die Gerüche, die ständige Beanspruchung, die Einschränkung ihrer Freiheit, das verringerte Privatleben, die Auswirkungen auf ihre Karriere. Es hatte nicht geholfen. Sie hatte mit dem Verstand auf ein Bedürfnis reagiert, gegen das der Intellekt nichts ausrichten konnte. Zuweilen fragte sie sich, ob sie nicht psychisch gestört sei. Und sie hatte keine Macht mehr über ihre Träume, insbesondere über einen nicht: Sie sieht eine lächelnde Krankenschwester, die ihr ein neugeborenes Kind in den Arm legt. Sie schaut auf das zarte, selbstversunkene Gesichtchen hinab, dem man noch das Trauma der Geburt anmerkt. Doch dann eilt jene Schwester mit der mißbilligenden Miene herbei und entreißt ihr das Bündel. »Das ist nicht Ihr Kind, Miss Robarts!« sagt sie höhnisch. »Wissen Sie denn nicht mehr? Ihr Kind haben wir im WC hinuntergespült.«
Alex brauchte kein Kind mehr. Er hatte ja seinen Sohn, konnte hoffen, in ihm, wie auch immer, weiterzuleben, in ihm unsterblich zu werden. Vielleicht war er ein unzulänglicher Vater, aber er war immerhin einer. Er hatte sein eigen Fleisch und Blut in den Armen gehalten. Das bedeutete ihm etwas, mochte er es auch abstreiten.
Im letzten Sommer hatte Charles seinen Vater besucht, ein braungebrannter Hüne mit stämmigen Beinen und sonnengebleichtem Haar, der wie ein Meteor durch das AKW gefegt war und sämtliche Mitarbeiterinnen mit seinem amerikanischen Akzent, seinem unbekümmerten Charme bezaubert hatte. Auch Alex war stolz auf seinen Jungen gewesen, was ihn selbst allerdings ein wenig verdutzt hatte; mit spöttischen Bemerkungen hatte er das zu verbergen versucht. Hilary machten diese Situationen oft verlegen, aber sie empfand auch Groll. Alex’ väterlicher Stolz und sein burschikoser Humor paßten so gar nicht zu seinem sonstigen Charakter, würdigten ihn in ihren Augen herab. Er hatte auf sie den Eindruck gemacht, als sei er von der physischen Ausstrahlung seines Sohnes ebenso hingerissen wie all die kleinen Tippsen. Alice Mair war zwei Tage vor Charles’ Ankunft nach London gereist; Hilary hatte überlegt, ob das nur ein kluger Schachzug gewesen sei, damit Vater und Sohn mehr Zeit miteinander verbringen konnten, oder ob Alice, die sie mittlerweile besser kennengelernt hatte, sich nur davor gedrückt hatte, den Jungen bekochen und sich obendrein die überschwenglichen Äußerungen seines Vaters anhören zu müssen.
Ihr letzter gemeinsamer Spaziergang nach der Dinnerparty fiel ihr ein. Sie hatte sich anfangs betont gegen seine Begleitung verwahrt, doch als er dann doch mitging, entsprach dies ganz ihrer Absicht. Nachdem sie ihm ihre Meinung dargelegt hatte, erwiderte er gleichmütig: »Soll das ein Ultimatum sein?«
»So würde ich es nicht nennen«, entgegnete sie.
»Als was würdest du es bezeichnen? Als eine Erpressung?«
»Ich fände es nur redlich nach all dem, was zwischen uns war.«
»Bleiben wir lieber beim Ausdruck Ultimatum. Mit Redlichkeit hat unsere Beziehung nichts zu tun. Jedes Ultimatum will durchdacht sein. Im allgemeinen ist damit auch eine Frist verbunden. Wie lautet nun deine?«
»Ich liebe dich«, sagte sie. »Wenn du den neuen Posten bekommst, brauchst du eine Ehefrau. Ich wäre die richtige Frau für dich. Es könnte klappen. Ich würde mich bemühen. Ich könnte dich glücklich machen.«
»Ich weiß nicht, wieviel Glück ich ertrage. Möglicherweise mehr, als ich mir anmaßen darf. Außerdem hat nicht jeder ein Talent dazu. Alice nicht, Charles nicht, Elizabeth nicht und du auch nicht. So ist es schon immer gewesen.«
Dann hatte er sich ihr zugedreht und sie auf die Wange geküßt. Sie wollte ihn noch festhalten, aber er hatte sie sanft abgewehrt.
»Ich werde darüber nachdenken«, hatte er gesagt.
»Aber ich möchte unsere Verlobung bald bekanntgeben.«
»Du denkst doch nicht etwa an eine kirchliche Trauung, so mit Orangenblüten, Brautjungfrauen und Mendelssohns Hochzeitsmarsch ?«
»Ich denke nicht daran, uns beide lächerlich zu machen«, versicherte sie ihm. »Weder jetzt noch nach der Hochzeit. Du solltest mich besser kennen.«
»Ich verstehe. Also nur ein rasches, schmerzloses Stelldichein auf dem Standesamt. Ich werde dir meine Entscheidung am nächsten Sonntag abend nach meiner Rückkehr aus London mitteilen.«
»Das klingt so förmlich«, wandte sie ein.
»Eine Antwort auf ein Ultimatum muß doch förmlich klingen,
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