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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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nachts unterwegs war. Das alles paßte auf Neville Potter. Hätte man ihn bei der ersten Vernehmung verhaftet, könnten vier unschuldige junge Frauen heute noch leben. Haben wir denn gar nichts aus dem Fiasko mit dem Yorkshire Ripper gelernt?«
    »Der übliche, vorhersehbare Unsinn«, bemerkte Rikkards. »Weibliche Mordopfer sind entweder Prostituierte, die vermutlich verdient hatten, was sie bekamen, oder unschuldige Frauen.«
    Während er die Einfahrt zum Alten Pfarrhof hinaufschritt, überflog Rikkards den restlichen Artikel. Darin wurde die Behauptung aufgestellt, die Polizei verlasse sich heutzutage zu sehr auf Computer, mechanische Hilfsmittel, schnelle Autos, Technologie. Es werde Zeit, zum Bobby auf Streifendienst zurückzukehren. Was nütze es schon, einen Computer mit endlosen Daten zu füttern, wenn ein einfacher Constable nicht kompetent genug sei, einen offensichtlich Verdächtigen zu erkennen? Zwar wurden in dem Artikel einige von seinen eigenen Ansichten vertreten, aber das machte ihn für Rikkards keineswegs akzeptabler.
    Er warf Oliphant die Zeitung zu und sagte: »Was wollen die andeuten – daß wir uns den Whistler hätten schnappen können, wenn wir an jeder Landstraßenkreuzung einen uniformierten Streifen-Bobby postiert hätten? Haben Sie übrigens Mrs. Dennison mitgeteilt, daß wir kommen, und sie gebeten, keine weiteren Besucher zu empfangen?«
    »Sie klang nicht sehr begeistert, Sir. Meinte, die einzigen Besucher, die eventuell kommen könnten, seien die Bewohner der Landzunge, und wie sie es ihren Freunden erklären solle, daß sie sie von der Türschwelle weise.«
    »Und die Hintertür haben Sie auch kontrolliert?«
    »Sie sagten, ich soll draußen auf Sie warten, Sir. Deswegen bin ich noch nicht ums Haus rumgegangen.«
    Kein sehr vielversprechender Beginn. Doch falls es Oliphant mit seiner gewohnten Taktlosigkeit geschafft hatte, in Mrs. Dennison Feindseligkeit zu wecken, so ließ sie sich, als sie ihnen die Tür öffnete, keine Verärgerung anmerken, sondern begrüßte sie mit angemessener Höflichkeit. Rikkards dachte wieder einmal, wie anziehend sie doch wirke, mit dieser sanften, altmodischen Anmut, die man wohl als »Englische Rose« bezeichnet hätte, damals, als Englische Rose als Typ noch in Mode war. Selbst ihre Kleidung erweckte den Eindruck anachronistischer Vornehmheit: nicht etwa die unvermeidlichen Hosen, sondern ein grauer Faltenrock mit passender Strickjacke über einer blauen Bluse und einer einreihigen Perlenkette. Trotz ihrer scheinbaren Gelassenheit war sie allerdings so blaß, daß der sorgfältig aufgelegte rosa Lippenstift neben der blutleeren Haut fast grell wirkte, und ihre Schultern waren unter der dünnen Wolle straff gespannt.
    »Würden Sie bitte in den Salon kommen, Chief Inspector, und mir erklären, worum es geht?« sagte sie. »Außerdem werden Sie und Ihr Sergeant sicher nichts gegen eine Tasse Kaffee haben.«
    »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Mrs. Dennison, aber leider haben wir keine Zeit. Ich hoffe, daß wir Sie nicht allzu lange aufhalten müssen. Wir suchen nämlich ein Paar Schuhe, Bumble-Sportschuhe, und ich habe Grund zu der Annahme, daß sie sich in Ihrer Trödelkiste befinden. Dürften wir uns die bitte einmal kurz ansehen?«
    Sie warf ihnen einen raschen Blick zu, dann führte sie die beiden Beamten wortlos durch eine Tür am Ende des Korridors und über einen kurzen Gang zu einer weiteren Tür, die verriegelt war. Sie griff nach dem Riegel, der sich mühelos bewegen ließ, und gleich darauf standen sie in einem weiteren, kürzeren Gang mit Steinfliesenbelag, der vor der schweren, dicken, ebenfalls oben und unten mit einem Riegel versperrten Hintertür endete. Zu beiden Seiten gab es je einen Raum. Die Tür auf der rechten Seite stand offen.
    Mrs. Dennison führte sie hinein. »Hier bewahren wir den Trödel auf«, erklärte sie. »Wie ich Sergeant Oliphant bereits am Telefon sagte, wurde die Hintertür gestern nachmittag um fünf Uhr verriegelt und seitdem nicht wieder geöffnet. Tagsüber lasse ich sie gewöhnlich offenstehen, damit jeder, der Trödel abliefern will, hereinkommen kann, ohne zu klopfen.«
    »Und das bedeutet«, sagte Oliphant, »daß sich die Leute auch etwas nehmen können, statt etwas zu bringen. Haben Sie keine Angst vor Dieben?«
    »Wir sind hier in Larksoken, Sergeant, nicht in London.«
    Der Raum mit seinem Steinplattenboden, den Ziegelwänden und einem einzigen hohen Fenster war ursprünglich wohl eine

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