Vorsatz und Begierde
hörten Sie von dem Mord an Miss Robarts, Mrs. Dennison? Offensichtlich war er Ihnen nichts Neues, als wir uns in Martyr’s Cottage trafen.«
»Ich dachte, das wüßten Sie bereits, Chief Inspector. Miss Mair rief mich am Montag morgen kurz nach 7 Uhr an. Sie selbst hatte es erfahren, als ihr Bruder am Sonntag abend erst sehr spät nach Hause kam, weil er den Leichnam gefunden hatte, aber sie wollte mich nicht um Mitternacht stören, vor allem mit einer so furchtbaren Nachricht.«
»Und war es eine furchtbare Nachricht, Madam?« erkundigte sich Oliphant. »Sie kannten Miss Robarts doch kaum. Warum sollte die Nachricht so furchtbar sein?«
Mrs. Dennison warf ihm einen langen Blick zu; dann wandte sie sich wieder von ihm ab. »Wenn Sie wirklich diese Frage stellen müssen, Sergeant«, entgegnete sie, »sind Sie dann sicher, daß Sie den richtigen Beruf gewählt haben?«
Rikkards erhob sich, um sich zu verabschieden. Mrs. Dennison begleitete ihn zur Haustür. Als sie zum Wagen gingen, wandte sie sich an ihn und erklärte mit unerwarteter Heftigkeit: »Ich bin nicht dumm, Chief Inspector. All diese Fragen über die Schuhe. Anscheinend haben Sie einen Abdruck am Tatort gefunden und glauben, daß er vom Mörder stammt. Aber Bumbles sind durchaus gebräuchlich. Jeder hätte sie tragen können. Die Tatsache, daß Toby Gledhills Schuhe fehlen, kann reiner Zufall sein. Sie müssen nicht unbedingt mit finsteren Absichten gestohlen worden sein. Jeder, der ein Paar Sportschuhe brauchte, hätte sie sich nehmen können.«
Oliphant musterte sie zweifelnd. »Also, ich bin da anderer Ansicht, Madam. Wie Sie selbst erst vor einer halben Stunde gesagt haben, ist dies hier Larksoken, nicht London.« Seine dicken Lippen verzogen sich zu einem selbstzufriedenen Lächeln.
39
Rikkards hätte am liebsten sofort mit Lessingham gesprochen, aber die für 10 Uhr angesetzte Pressekonferenz bedeutete, daß er das Gespräch noch aufschieben mußte, und um das Ganze noch komplizierter zu machen, ergab ein Anruf im Kraftwerk Larksoken, daß Lessingham sich einen Tag freigenommen, aber eine Nachricht hinterlassen hatte, er sei in seinem Cottage bei Blakeney zu erreichen. Glücklicherweise war er daheim, und Oliphant machte ohne weitere Erklärung mit ihm aus, sie würden ihn um die Mittagszeit aufsuchen.
Sie verspäteten sich noch nicht einmal um fünf Minuten, weshalb es mehr als frustrierend für sie war, das niedrige, aus Holz und Backsteinen erbaute Cottage an der Küstenstraße, eine Meile nördlich des Ortes, leer vorzufinden. An die Haustür war ein Zettel mit einer bleistiftgeschriebenen Nachricht geheftet:
An alle, die mich erreichen wollen: Ich bin auf der Heron am Quai von Blakeney. Das gilt auch für die Polizei.
»Verdammte Frechheit!« schimpfte Oliphant. Und als könne er nicht glauben, daß ein Verdächtiger sich so vorsätzlich unkooperativ verhalte, probierte er, die Tür zu öffnen, spähte durchs Fenster hinein und verschwand dann hinter dem Haus. Als er wiederkam, berichtete er: »Baufällig. Könnte einen Anstrich gebrauchen. Komisch, hier wohnen zu wollen! Diese Marschen sind im Winter ziemlich öde. Man sollte meinen, er hätte gern ein bißchen Leben um sich herum.«
Insgeheim stimmte ihm Rikkards zu, daß Lessingham sich einen merkwürdigen Wohnplatz ausgesucht hatte. Sein Cottage sah aus, als wären es früher einmal zwei gewesen, die später miteinander verbunden wurden, und obwohl das Haus mit seinen angenehmen Proportionen einen gewissen melancholischen Charme ausstrahlte, wirkte es auf den ersten Blick unbewohnt und vernachlässigt. Schließlich war Lessingham ein ranghoher Ingenieur oder Techniker, er konnte sich nicht mehr erinnern, was. Wie dem auch sei, er wohnte wohl kaum hier, weil er so arm war.
»Vermutlich will er sein Boot in der Nähe haben. Hier an der Küste gibt es nicht viele Liegeplätze. Er konnte sein Boot nur hier oder in Wells-next-the-Sea unterbringen.«
Als sie wieder in den Wagen stiegen, warf Oliphant einen so grollenden Blick zum Cottage zurück, als berge es hinter der abblätternden Farbe ein Geheimnis, das es nach ein paar kräftigen Tritten gegen die Tür möglicherweise verraten hätte. Während er sich anschnallte, knurrte er: »Und wenn wir zum Quai kommen, hängt da vermutlich eine Nachricht, daß er im Pub ist.«
Aber Lessingham war dort, wo seine Nachricht es angekündigt hatte. Zehn Minuten später fanden sie ihn auf dem verlassenen Quai, wo er, einen Außenborder
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