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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Kleidern aus. Sie meinte, die Anzüge seien zu schade für den Basar, und fragte mich, ob ich was dagegen hätte, wenn sie sie separat verkaufe – wobei das Geld natürlich dem Kirchenfonds zugute kommen werde. So könne sie einen besseren Preis erzielen, meinte sie. Ich hatte das Gefühl, daß sie sich fragte, ob Mr. Copley vielleicht eins von den Jacketts gebrauchen könne. Ich antwortete ihr, sie könne damit tun, was sie wolle.«
    »Und was wurde aus den Sportschuhen? Wurden die mit den anderen Schuhen zusammen in die Teekiste gepackt?«
    »Ja, aber in einer Plastiktüte. Mrs. Dennison meinte, sie seien in einem so guten Zustand, daß es ein Jammer wäre, sie zu den anderen in die Kiste zu werfen, wo sie ja doch nur schmutzig würden. Sie ging fort und kam mit der Tüte zurück. Als sie nicht recht zu wissen schien, was sie mit den Anzügen machen sollte, bot ich ihr an, den Koffer dazulassen. Schließlich hatte der ebenfalls Toby gehört und konnte mit den anderen Sachen zusammen auf dem Flohmarkt verkauft werden. Asche zu Asche, Staub zu Staub, Trödel zu Trödel. Ich war froh, das alles endlich loszuwerden.«
    »Ich habe natürlich von Dr. Gledhills Selbstmord gelesen«, sagte Rikkards. »Für Sie muß das ganz besonders schlimm gewesen sein, weil Sie dabei waren. Er wurde mir als junger Mann mit brillanter Zukunft beschrieben.«
    »Er war ein ausgesprochen kreativer Wissenschaftler. Mair wird Ihnen das bestätigen, falls es Sie irgendwie interessiert. Natürlich ist gute Naturwissenschaft immer kreativ, ganz gleich, was die Geisteswissenschaftler Ihnen weismachen wollen, aber es gibt Naturwissenschaftler, die haben diese ganz besondere Phantasie, Genie statt nur Talent, sowohl Inspiration als auch die notwendige geduldige Gewissenhaftigkeit. Irgend jemand – wer, weiß ich nicht mehr – hat es einmal sehr gut beschrieben. Die meisten von uns kämpfen sich vorwärts, kommen mühsam voran, Meter um Meter; die jedoch springen mit dem Fallschirm hinter den feindlichen Linien ab. Er war jung, erst vierundzwanzig. Er hätte alles erreichen können.«
    Alles oder nichts, dachte Rikkards, wie die meisten dieser jungen Genies. Ein früher Tod bewirkte gewöhnlich eine kurze, flüchtige Unsterblichkeit. Er hatte noch keinen jungen Constable gekannt, der zufällig ums Leben kam und nicht sofort zum potentiellen Chief Constable erklärt wurde. »Was genau hat er eigentlich im Kraftwerk getan?« fragte er. »Was war seine Aufgabe?«
    »Er arbeitete mit Mair an seinen PWR-Sicherheitsstudien. Das hat, kurz gesagt, mit dem Verhalten des Reaktorkerns unter außergewöhnlichen Bedingungen zu tun. Mit mir hat Toby niemals darüber gesprochen, vermutlich weil er wußte, daß ich die komplizierten Computer-Codes nicht verstehe. Ich bin schließlich nur ein einfacher Ingenieur. Mair muß die Studie veröffentlichen, bevor er die Stellung hier wegen seines vielbesprochenen neuen Jobs aufgibt – vermutlich unter beider Namen und mit einer entsprechenden Anerkennung für seinen Mitarbeiter. Alles, was von Toby bleibt, ist also sein Name unter einer wissenschaftlichen Abhandlung von Mr. Mair.«
    Lessingham klang unendlich müde, als er das sagte. Er blickte zur offenen Tür, machte Miene aufzustehen, um aus der engen Kabine an die frische Luft zu kommen. Dann sagte er, den Blick noch immer auf die Tür gerichtet: »Es hat keinen Sinn, Ihnen Toby erklären zu wollen, Sie würden es ja doch nicht verstehen. Wir würden nur Ihre und meine Zeit verschwenden.«
    »Sie scheinen dessen ziemlich sicher zu sein, Mr. Lessingham.« »Ich bin sicher, sehr sicher sogar. Ich kann es nicht erklären, ohne aggressiv zu werden. Machen wir’s also lieber unkompliziert, und halten wir uns an die Fakten. Wissen Sie, er war ein außergewöhnlicher Mensch. Er war clever, er war warmherzig, er war schön. Wenn man eine dieser Eigenschaften bei einem Menschen findet, kann man von Glück sagen; findet man sie alle drei, hat man einen ganz besonderen Menschen vor sich. Ich habe ihn geliebt. Das wußte er, weil ich es ihm gesagt habe. Er liebte mich nicht, und er war nicht schwul. Nicht, daß Sie das etwas angeht. Ich sage Ihnen das nur, weil es eine Tatsache ist und Sie doch angeblich mit Tatsachen arbeiten, und weil Sie, wenn Sie fest entschlossen sind, sich für Toby zu interessieren, sich wenigstens ein zutreffendes Bild von ihm machen sollten. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Sie versuchen offensichtlich, so viel Schmutz auszugraben,

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