Vorsatz und Begierde
mutterseelenallein war. Selbst ihre Liebhaber, rückblickend gesehen eine Abfolge verzerrter, flehender Gesichter und tastender, suchender Hände, waren nichts als zufällig anwesende Fremde gewesen, die ihr die flüchtige Illusion vermittelt hatten, daß man ein Leben teilen könne. Und Caroline hatte sie nie gekannt, hatte sie nie kennenlernen können. Amy konnte auch nicht annähernd verstehen, was in Carolines Vergangenheit, vielleicht in ihrer Kindheit geschehen war, das sie zu dieser gefährlichen Verschwörung, diesem Augenblick der Entscheidung getrieben hatte. Physisch waren sie einander so nahe, daß jede den Atem der anderen hören, ja fast riechen konnte. Und doch war jede von ihnen allein, so sehr allein, als gäbe es auf diesem weiten Meer kein anderes Schiff, keine andere Menschenseele. Es mochte ihnen bestimmt sein, miteinander zu sterben, doch jede würde ihren eigenen Tod erleiden, wie jede nur ihr eigenes Leben gelebt hatte. Und zu sagen gab es jetzt nichts mehr. Amy hatte ihr Plädoyer gehalten, und nun war ihr Vorrat an Worten erschöpft. Jetzt wartete sie in der Dunkelheit und dem Schweigen, um zu erfahren, ob sie leben durfte oder sterben mußte.
Es kam ihr vor, als sei die Zeit stehengeblieben. Caroline streckte die Hand aus und schaltete den Motor ab. In der unheimlichen Stille konnte Amy ihr eigenes Herz schlagen hören wie ein hartnäckiges Klopfen. Dann begann Caroline zu sprechen. Ihr Ton war ruhig, nachdenklich, als hätte Amy ihr eine schwierige Aufgabe gestellt, deren Lösung eine längere Analyse erforderte.
»Wir müssen möglichst schnell weg vom Treffpunkt. Wir haben nicht genug Motorkraft, um ihnen zu entkommen, wenn sie uns finden und verfolgen. Unsere einzige Chance ist, sämtliche Lichter zu löschen, den Treffpunkt zu verlassen und irgendwo lautlos liegenzubleiben, damit sie uns im Nebel nicht finden.«
»Können wir nicht in den Hafen zurückfahren?«
»Dazu haben wir keine Zeit. Bis dahin sind es über zehn Meilen, und die haben eine starke Maschine. Wenn sie uns finden, sind sie innerhalb von Sekunden bei uns. Der Nebel ist unsere einzige Chance.«
Und dann hörten sie, durch den Nebel gedämpft, doch unverkennbar, das Geräusch eines näherkommenden Bootes. Instinktiv rückten sie im Cockpit dichter zusammen und warteten, wagten nicht einmal zu flüstern. Jede wußte, daß ihre einzige Chance absolutes Schweigen war, daß sie nur darauf hoffen konnten, der Nebel würde ihr kleines Boot verbergen. Aber das Motorengeräusch wurde lauter, wurde zu einem gleichmäßigen, richtungslosen, pulsierenden Dröhnen. Und dann, als sie gerade dachten, das Boot würde aus der Dunkelheit auftauchen und auf sie zugeschossen kommen, hörte das Geräusch auf, lauter zu werden, und Amy vermutete, daß sie langsam umkreist wurden. Dann schrie sie plötzlich erschrocken auf. Der Suchscheinwerfer durchschnitt den Nebel und schien ihnen grell mitten ins Gesicht. Das Licht blendete sie so stark, daß sie nichts zu sehen vermochten als diesen riesigen Kegel, in dem die Nebeltröpfchen schwammen wie Stäubchen aus silbrigem Licht. Eine rauhe, ausländische Stimme rief: »Ist das die Lark aus Wells Harbour?«
Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann hörte Amy Carolines Stimme; sie klang sehr laut und klar, und dennoch vernahmen Amys Ohren einen schrillen Anflug von Angst.
»Nein. Wir sind vier Freunde aus Yarmouth, aber wir werden vermutlich in Wells ankern. Bei uns ist alles in Ordnung. Wir brauchen keine Hilfe, vielen Dank.«
Aber der Suchscheinwerfer bewegte sich nicht. Das Boot hing in seinem Licht wie zwischen Himmel und Meer. Die Sekunden vergingen. Kein weiteres Wort wurde gesprochen. Dann wurde das Licht ausgeschaltet, und sie hörten das sich entfernende Motorengeräusch. Eine Minute lang hegten beide, immer noch wartend, immer noch zu ängstlich, um etwas zu sagen, die verzweifelte Hoffnung, ihre List habe Erfolg. Aber dann wußten sie, daß dies nicht der Fall war: Wieder hielt das Licht sie gefangen. Und nun brüllten die Motoren auf, und das Boot kam so schnell aus dem Nebel hervorgeschossen, daß Caroline nur noch Zeit hatte, ihre eiskalte Wange an Amys Gesicht zu pressen. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir so leid!«
Dann war der riesige Bootsrumpf unmittelbar vor ihnen. Amy hörte Holz splittern und krachen, und das Boot sprang hoch aus dem Wasser empor. Sie spürte, wie sie durch eine endlose nasse Finsternis geschleudert wurde und, mit ausgebreiteten
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