Vorsatz und Begierde
Ordners zu, in dem seine Assistentin all die Unterlagen penibel mit Büroklammern zusammengeheftet hatte, und sagte abschließend: »Noch irgendwelche Fragen?«
Aber so leicht sollte er nicht davonkommen. Zu seiner Rechten saß wie immer Miles Lessingham, der Betriebsdirektor, dessen Spiegelbild im Fenster einem verschwommenen Totenschädel glich. Als er ihn daraufhin anblickte, sah er keinen großen Unterschied zu dem Spiegelbild. Trotz der hellen Deckenbeleuchtung waren seine Augen wie dunkle Höhlen. Ein Schweißfilm glänzte auf der breiten, höckerigen Stirn, in die eine blonde Haarsträhne fiel. »Es ist die Rede davon«, sagte Lessingham und streckte sich in seinem Stuhl aus, »daß Ihnen ein anderer Posten angeboten wurde. Dürfen wir erfahren, ob Ihre Berufung schon offiziell ist?«
»Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben«, erwiderte Dr. Mair. »Die Publicity war verfrüht. Die Presse hat irgendwas läuten hören, aber offiziell ist noch nichts entschieden. Daß wir derzeit alle Informationen von Belang nach draußen durchsickern lassen, hat den negativen Effekt, daß die Betroffenen als letzte etwas davon erfahren. Sobald die Sache offiziell geklärt ist, werden Sie sieben es als erste erfahren.«
»Wenn Sie uns verlassen, Alex, könnte das ernste Auswirkungen haben«, sagte Lessingham. »Der Auftrag für den neuen Druckwasserreaktor ist bereits unterzeichnet. Dann noch die betriebsinterne Reorganisation, die Unruhe auslösen wird, und die Privatisierung der Stromerzeugung. Es ist wirklich keine günstige Zeit für einen Wechsel an der Spitze.«
»Wann ist die Zeit dafür jemals günstig?« entgegnete Dr. Mair. »Es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren, solange es nicht soweit ist.«
»Aber die betriebsinterne Umbildung wird doch weitergeführt?« fragte John Standing, Leiter des chemischen Werkslabors.
»Das hoffe ich, bedenkt man die Zeit und den Arbeitsaufwand für unsere Planungen. Es wäre schon erstaunlich, wenn ein Wechsel an der Spitze eine notwendige, bereits angelaufene Reorganisation verhindern würde.«
»Wird es zur Ernennung eines Direktors oder eines Werksleiters kommen?« erkundigte sich Lessingham. Die Frage klang harmloser, als sie war.
»Ich denke, es wird ein Werksleiter sein.«
»Das bedeutet, daß der Forschungsbereich aufgelöst wird?«
»Wenn ich gehe, jetzt oder später, wird der Forschungsbereich ohnehin verlagert«, sagte Dr. Mair. »Das wußten Sie schon von jeher. Ich habe ihn ja hier eingebracht. Den Posten hier hätte ich nicht angenommen, wenn man mir die Fortführung nicht gestattet hätte. Ich habe mir gewisse Forschungsmöglichkeiten ausbedungen und sie auch erhalten. Aber die Forschung in Larksoken fiel schon immer etwas aus dem Rahmen. Wir haben zwar gute Arbeit geleistet, leisten sie noch immer, aber von der Logik her wären Harwell oder Winfrith zweckdienlicher. Weitere Fragen?«
Lessingham ließ sich nicht entmutigen. »Wem unterstehen Sie dann? Unmittelbar dem Energieminister oder der AEA?«
Darauf wollte sich Dr. Mair nicht einlassen. »Auch das ist noch nicht entschieden«, erwiderte er gleichmütig.
»Zweifellos auch nicht solch zweitrangige Fragen wie die Besoldung, Freibeträge, Zuständigkeitsbereiche oder die offizielle Bezeichnung Ihrer Funktion. Generalinspekteur für Atomkraft klänge nicht schlecht. Mir gefällt’s. Doch was würden Sie dann eigentlich inspizieren?«
Es wurde still. »Wenn die Antwort auf diese Frage klar wäre«, erwiderte Dr. Mair, »hätte man die Ernennung zweifellos schon bekanntgegeben. Ich möchte die Diskussion nicht unterbinden, aber sollten wir uns nicht besser auf Angelegenheiten beschränken, die zu unserem Zuständigkeitsbereich gehören? Liegt noch was vor?«
Diesmal sagte keiner etwas.
Hilary Robarts, Leiterin der Verwaltungsabteilung, hatte ihre Aktenmappe längst zugeklappt. Sie hatte sich an den Fragen nicht beteiligt, woraus die anderen, wie Dr. Mair wohl wußte, schließen würden, er habe sie im voraus eingeweiht.
Noch bevor sie aufbrachen, war seine Assistentin Caroline Amphlett gekommen, um die Teetassen wegzutragen und den Tisch abzuräumen. Lessingham ließ seine Unterlagen stets zurück: sein persönlicher Protest gegen die Papierflut, die die wöchentliche Konferenz auslöste. Dr. Martin Goss, Chef der medizinisch-physikalischen Abteilung, hatte wieder einmal hingebungsvoll vor sich hin gemalt. Das Blatt in seinem Notizblock bedeckten hübsch gemusterte und verzierte
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