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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Hand und begann vorzulesen: »Viele Leser werden vermutlich inzwischen erfahren haben, daß Miss Hilary Robarts, Abteilungsleiterin im AKW von Larksoken, mich wegen meiner angeblich verleumderischen Äußerungen in der Mai-Ausgabe des Info-Briefes verklagen will. Gegen eine solche Beschuldigung werde ich mich selbstverständlich aufs entschiedenste zur Wehr setzen, und da ich für einen Anwalt kein Geld habe, werde ich mich vor Gericht selbst verteidigen. Das ist nun der neueste Beweis für die Bedrohung der Informationsfreiheit, ja sogar der freien Meinungsäußerung, die von der Atom-Lobby ausgeht. Offenbar soll jetzt selbst bei geringfügiger Kritik ein gerichtliches Nachspiel angedroht werden. Aber es gibt auch eine positive Seite. Miss Robarts’ Vorgehen zeigt uns, daß wir, die einfachen Bürger dieses Landes, bereits Wirkung erzielen. Würde man an unserem kümmerlichen Mitteilungsblatt Anstoß nehmen, wenn es nicht die Angst der Betroffenen schürte? Und die Verleumdungsklage wird uns, sollte es denn zu einem Prozeß kommen, eine unbezahlbare, landesweite Publicity bescheren, falls wir sie richtig nutzen. Wir sind mächtiger, als uns bewußt ist. Ich nenne Ihnen nun noch die Daten der Tage der offenen Tür in Larksoken, damit so viele von Ihnen wie möglich daran teilnehmen und in der Fragestunde, die üblicherweise der Werksbesichtigung vorausgeht, unseren Kampf gegen Atomkraft tatkräftig unterstützen.«
    »Ich hab dir doch gesagt, daß ich’s gelesen habe«, entgegnete sie. »Ich verstehe nicht, warum du dir die Zeit nimmst, das vorzulesen. Er liefert doch nur weiteres Material für die Verleumdungsklage gegen ihn. Wenn er etwas Grips hätte, würde er sich einen guten Anwalt nehmen und den Mund halten.«
    »Einen Anwalt kann er sich nicht leisten. Und er wird auch keinen Schadensersatz zahlen können.« Nach kurzem Zögern fügte er noch leise hinzu: »Im Interesse des AKWs solltest du die Klage zurückziehen.«
    »Ist das eine Anordnung?«
    »Zwingen kann ich dich dazu nicht. Das weißt du doch. Ich bitte dich darum. Du wirst nichts von ihm bekommen. Der Mann ist so gut wie mittellos. Außerdem ist er all die Unannehmlichkeiten nicht wert.«
    »Für mich schon. Was er geringfügige Kritik nennt, war eine ehrenrührige Verleumdung, die weithin Beachtung fand. Dafür gibt es nicht den Ansatz einer Begründung. Entsinn dich doch des genauen Wortlauts! ›Eine Frau, die sich nach Tschernobyl dahingehend äußert, daß ja nur einunddreißig Menschen umgekommen seien, eine Frau, die eine der größten Nuklearkatastrophen als unbedeutend abtut, obwohl Tausende im Krankenhaus behandelt werden mußten, hunderttausend oder mehr Menschen lebensgefährlicher Strahlung ausgesetzt wurden, riesige Landstriche unbrauchbar geworden sind, obgleich in den kommenden fünfzig Jahren an die fünfzigtausend Menschen an Krebs als Folgeerscheinung sterben werden, eine solche Frau ist gänzlich ungeeignet, mit einer Arbeit in einem AKW betraut zu werden. Solange sie, in welcher Funktion auch immer, dort beschäftigt ist, muß man bezweifeln, daß die Sicherheit in Larksoken gewährleistet ist.‹ Das ist doch eindeutig der Vorwurf beruflicher Inkompetenz. Wenn er damit ungeschoren davonkommt, werden wir ihn nie los.«
    »Mir war nicht bewußt, daß es unsere Aufgabe ist, mißliebige Kritiker loszuwerden. Was für eine Methode schwebt dir denn vor?« Er zögerte, als er aus seiner Stimme die ersten Anzeichen von Sarkasmus und Gereiztheit heraushörte, wozu er eine geradezu krankhafte Neigung hatte. »Er ist ein freier Bürger und kann leben, wo er will«, fuhr er fort. »Er hat ein Recht auf eine eigene Meinung. Er ist kein ernsthafter Gegner, Hilary. Wenn du ihn vor Gericht bringst, wird er für sein Anliegen reichlich Publicity einheimsen; dir hingegen ist damit gar nicht gedient. Wir bemühen uns doch, die Einheimischen hier für uns zu gewinnen, sie nicht zu verprellen. Laß ab davon, bevor jemand auf den Einfall kommt, für seine Verteidigung Geld zu sammeln. Ein Märtyrer auf der Landspitze von Larksoken ist genug.«
    Während er sprach, stand sie auf und begann, in dem geräumigen Büro auf und ab zu gehen. Nach einer Weile schaute sie ihn an. »Um das geht es dir also? Um den Ruf des AKWs, um deinen Ruf. Was ist mit meinem Ruf? Wenn ich die Klage zurückziehe, ist das ein klares Eingeständnis, daß er recht hat, daß ich für den Posten hier nicht geeignet bin.«
    »Was er geschrieben hat, beeinträchtigt doch nicht

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