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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Immerhin war Christine eines klar: Es war kein Lokal, wo sie jemand vom AKW antreffen würde, zumindest niemand, auf dessen Bekanntschaft sie Wert legte. Im Duke of Clarence mißfiel ihr einfach alles – der rauhe, kratzige Bezugsstoff, der an ihren Beinen scheuerte, die mit Kunststoffsamt bespannten Wände, die Körbe mit Efeu und Plastikblumen über der Bar, der grellbunte Teppich. Vor zwanzig Jahren war es eine heimelige viktorianische Gaststätte gewesen, die zumeist nur von Stammgästen besucht wurde, mit einem flackernden Kaminfeuer im Winter und Pferdegedenkplaketten aus Messing, die blankgeputzt an dem schwarzen Gebälk hingen. Der kauzige Wirt hatte es als seine Aufgabe angesehen, fremde Gäste zu vergraulen, und zu diesem Zweck ein eindrucksvolles Arsenal von Behandlungsmethoden angewandt, wie etwa Maulfaulheit, bösartiges Anstarren, den Ausschank von warmem Bier oder eine saumselige Bedienung. Leider war die alte Gaststätte in den sechziger Jahren abgebrannt und durch ein einträglicheres, dem Zeitgeschmack angepaßtes Lokal ersetzt worden. Vom einstigen Gebäude war nichts erhalten geblieben. Der längliche Raum mit der Bar, großspurig Banketthalle genannt, wurde von anspruchslosen Leuten für Hochzeiten oder sonstige Ereignisse genutzt. An den übrigen Abenden konnte man sich hier an Garnelen oder heißer Suppe laben, an Steaks, Backhühnern oder Obstsalat mit Sahneeis. Daß sie hier auch noch zu Abend aßen, hatte Christine immerhin verhindern können. Wenn Norman sich einbildete, sie würde sich noch auf den überteuerten Fraß einlassen, während zu Hause ein ausgezeichnetes kaltes Abendessen im Kühlschrank bereitstand und ein anständiges Fernsehprogramm ihrer harrte, hatte er sich eben getäuscht. Sie konnten ihr Geld besser ausgeben, als hier herumzusitzen, mit Colin und seinem neuesten Flittchen, das, wenn man dem Klatsch glauben konnte, schon für halb Norwich die Beine gespreizt hatte. Da waren die Raten für die Wohnungseinrichtung zu zahlen, für den Wagen, von der Hypothek ganz zu schweigen. Sie versuchte abermals, Normans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der aber beschäftigte sich eingehend mit Yvonne, dieser Schlampe. Und sie machte es ihm wirklich auch nicht allzu schwer.
    Colin neigte sich Christine zu und schaute sie mit seinen braunen Augen halb spöttisch, halb schmachtend an. Colin Lomas war schon immer der Meinung gewesen, er bräuchte nur zu winken, und schon sei jede Frau ihm hörig.
    »Reg dich ab, Darling!« sagte er. »Dein Alter amüsiert sich doch nur. Du bist dran mit ’ner neuen Runde, Norman!«
    »Es ist Zeit, daß wir gehen«, rief Christine Norman zu, ohne Colin zu beachten. »Wir haben ausgemacht, daß wir um 7 fahren.«
    »Komm schon, Chrissie!« mischte sich Colin ein. »Laß dem Jungen doch seinen Spaß. Noch ’ne Runde!«
    »Was willst du, Yvonne?« fragte Norman. Er schaute seine Frau nicht einmal an. »Wieder dasselbe? Einen Sherry?«
    »Jetzt ist was Stärkeres angesagt«, meinte Colin. »Ich nehme einen Johnny Walker.«
    Das machte er mit Absicht. Sie wußte, daß er Whisky sonst nicht anrührte. »Ich habe genug von dieser Kneipe«, sagte sie. »Außerdem habe ich Kopfweh von all dem Krach.«
    »Kopfweh? Erst neun Monate verheiratet, und schon hat sie die Kopfweh-Masche drauf. Dann lohnt es sich nicht, jetzt schon nach Hause zu fahren, Norman.«
    Yvonne kicherte anzüglich.
    »Du warst schon immer vulgär, Colin Lomas«, sagte Christine und spürte, wie sie rot wurde. »Aber jetzt bist du nicht mal mehr witzig. Macht ihr drei, was ihr wollt. Ich fahre heim. Gib mir die Wagenschlüssel!«
    Colin lehnte sich zurück und grinste. »Du hast doch gehört, was die Dame möchte. Sie will die Wagenschlüssel.«
    Wortlos, das Gesicht verzogen, als würde er sich genieren, holte Norman die Schlüssel aus seiner Hosentasche und schubste sie über den Tisch. Sie ergriff sie, rückte den Tisch beiseite, schlängelte sich an Yvonne vorbei und hastete zur Tür. Vor Wut war sie den Tränen nahe. Sie brauchte gut eine Minute, um den Wagen aufzuschließen. Dann setzte sie sich, am ganzen Körper zitternd, hinters Steuerrad und wartete, bis sie sich soweit beruhigt hatte, daß sie den Motor starten konnte. Sie hörte noch die Stimme ihrer Mutter, als sie ihr von ihrer Verlobung erzählte: »Na ja, du bist schließlich zweiunddreißig. Du mußt selbst wissen, ob er der richtige Mann für dich ist. Aber du wirst aus ihm nichts machen. Er hat kein Rückgrat, wenn du mich

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