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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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seiner Arbeit nachgeht, einen Pkw oder Lieferwagen fährt und alte Kirchenlieder kennt. Das sollte die Sache doch erleichtern.«
    »Meinen Sie?«
    Rikkards schwieg eine Weile und sagte dann: »Ich denke, ich könnte jetzt einen Whisky vertragen, Mr. Dalgliesh, wenn’s Ihnen keine Umstände bereitet.«
    Es war nach Mitternacht, als er endlich aufbrach. Dalgliesh begleitete ihn zum Wagen. »Irgendwo da draußen ist er«, sagte Rikkards und blickte über die Landzunge hinweg. »Da draußen lauert er. Ich kann mir nicht helfen, ich muß den ganzen Tag an ihn denken, versuche mir vorzustellen, wie er aussehen könnte, wo er sich aufhält, was in seinem Kopf vorgeht. Susies Mutter hat schon recht. In letzter Zeit kümmere ich mich zuwenig um meine Frau. Wenn wir ihn schnappen, ist die Sache zu Ende. Vorbei. Aber man macht weiter. Er nicht, aber man selbst tut es. Und schließlich weiß man alles oder bildet es sich zumindest ein. Wo und wann und wen und wie. Wenn man Glück hat, weiß man sogar, warum. Doch im Grunde weiß man nichts. Da gibt es soviel Abscheuliches, das man nicht erklären, nicht begreifen, nicht ausmerzen kann. Man kann dem nur ein Ende machen. Es ist ein Einsatz ohne weitere Verantwortung. Keine Verantwortung dafür, was er getan hat, was hinterher mit ihm geschieht. Das steht allein dem Gericht zu. Man ist darin verwickelt und steht dennoch draußen. Gefällt Ihnen das an unserem Job, Mr. Dalgliesh?«
    Diese Frage hätte Dalgliesh nicht erwartet, nicht einmal von einem Freund. Rikkards war nicht sein Freund. »Wer von uns kann diese Frage schon beantworten?« erwiderte er.
    »Wissen Sie noch, warum ich die Metropolitan Police verlassen habe, Mr. Dalgliesh?«
    »Sie meinen die beiden Korruptionsfälle? Ja, ich weiß, weswegen Sie die Metropolitan Police verlassen haben.«
    »Sie sind dabeigeblieben. Aber Ihnen hat das genausowenig gefallen wie mir. Doch Sie wären dem nicht auf den Grund gegangen. Aber Sie blieben. Sie waren darüber erhaben, nicht wahr? Es interessierte Sie nur.«
    »Es ist doch interessant, wenn Männer, die man zu kennen glaubt, sich als etwas anderes entpuppen.«
    Rikkards hatte dann London verlassen. Auf der Suche wonach, überlegte Dalgliesh. Trieb ihn ein romantischer Traum vom friedlichen Landleben, von einem England, das längst entschwunden war, von behutsameren Methoden bei der Polizeiarbeit, von schrankenloser Ehrlichkeit? Und ob er sich wohl für ihn erfüllt hatte?

Zweites Buch
    Donnerstag, 22. September,
bis Freitag, 23. September
       

11
    O bwohl es erst 10 nach 7 war, durchzogen schon bläuliche Rauchschwaden den Schankraum des Duke of Clarence. Das Stimmengewirr wurde immer lauter. Die Zecher standen dichtgedrängt vorm Tresen. Christine Baldwin, das fünfte Opfer des Whistlers, hatte noch zwanzig Minuten zu leben. Sie saß auf der Bank an der Wand, nippte von ihrem zweiten trockenen Sherry an diesem Abend, der, wie sie sich fest vorgenommen hatte, ihr letzter sein sollte, weil sonst Colin gleich eine neue Runde bestellen würde. Als Norman sie anblickte, hob sie die linke Hand und deutete auf ihre Uhr. Bereits um zehn Minuten hatten sie die festgesetzte Zeit überschritten, was ihm gleichfalls bewußt sein mußte. Sie hatten nämlich vereinbart, daß sie vor dem Abendessen mit Colin und Yvonne noch kurz auf einen Drink einkehren würden; Zeitdauer und Alkoholkonsum waren somit beschränkt. Das Arrangement war typisch für ihre neunmonatige Ehe, die weniger durch gleichartige Interessen als durch eine Kette verbissen ausgehandelter Zugeständnisse aufrechterhalten wurde. Heute abend hatte sie nachgeben müssen. Aber wenn sie eingewilligt hatte, im Duke of Clarence eine Stunde mit Colin und Yvonne zu verbringen, bedeutete das noch lange nicht, daß sie deren Gesellschaft schätzte.
    Sie hatte Colin von ihrer ersten Begegnung an nicht gemocht. Was in ihrer Beziehung im Grunde noch immer nachwirkte, war die übliche Abneigung zwischen einer Frischverlobten und dem einstigen Schulfreund und liederlichen Saufkumpan ihres jetzigen Mannes. Er war Brautführer bei ihrer Hochzeit gewesen – Christine hatte erst nach hitzigen Verhandlungen kapituliert – und war seiner Aufgabe mit einer Mischung aus Ungeschlachtheit, Rüpelhaftigkeit und Dreistigkeit nachgekommen, die ihr, was sie Norman zuweilen gern unter die Nase rieb, die Erinnerung an diesen Tag vergällte. Es war typisch für Colin, daß ihn gerade dieses Pub anzog. Ordinärer konnte es nicht zugehen.

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