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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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zufallsabhängiger als die anderer Verbrechen. Man mußte die Untersuchungen unter dem Druck einer aufgebrachten Öffentlichkeit durchführen. Immer lauter wurde in solchen Fällen gefordert, daß man den schreckenverbreitenden Unhold endlich fasse und unschädlich mache. Aber es war – Gott sei Dank – nicht sein Fall. Er konnte darüber mit der Distanz eines Mannes reden, der sich zwar beruflich dafür interessierte, sonst aber keinerlei Verantwortung trug. Außerdem wußte er, was Rikkards brauchte: keine Ratschläge, er kannte ja seinen Job, aber einen Gesprächspartner, dem er traute, der seine Probleme nachvollziehen konnte, der danach verschwand, der nicht blieb, um ihn ständig an seine Bedenken zu erinnern. Er brauchte einen Kollegen, mit dem er sich zwanglos besprechen konnte. Er hatte zwar ein Mitarbeiterteam und war viel zu gewissenhaft, als daß er seine Gedanken nicht seinen Mitarbeitern anvertraut hätte, aber er war ein Mensch, der seine Annahmen zunächst einmal vor jemandem ausbreiten mußte. Und hier konnte er sie darlegen, erweitern, verwerfen, ausloten, ohne argwöhnen zu müssen, daß beispielsweise sein Detective Sergeant ihm mit gewollt ausdrucksloser Miene ehrerbietig zuhörte und sich dachte: »Großer Gott, was quasselt denn der Alte da? Der ist ja schon plemplem!«
    »Den Holmes-Computer wollen wir nicht einsetzen«, sagte Rikkards. »Die von der Metropolitan Police behaupten zwar, das System sei einsatzbereit, aber wir haben ja selbst einen Computer. Außerdem haben wir nicht viel Daten, die man eingeben könnte. Die Presse und die Öffentlichkeit wissen selbstverständlich, daß es den Holmes-Computer gibt. Das bekomme ich bei jeder Pressekonferenz zu hören. ›Verwenden Sie nun den Spezialcomputer, der nach Sherlock Holmes benannt ist?‹ fragen sie mich. Und ich sage: ›Nein. Wir verwenden unseren eigenen.‹ Aber dann liegt sozusagen eine Frage in der Luft: ›Warum habt ihr ihn denn dann noch nicht geschnappt?‹ Die denken, man braucht nur die Daten einzugeben und heraus kommt eine vollständige Beschreibung des Gesuchten samt Fingerabdrücken, Kragenweite und seinem Lieblingspopstar.«
    »Tja, wir sind eben an die Wunder der Technik so gewöhnt, daß es uns aus der Fassung bringt, wenn mal ein Apparat nicht alles schafft«, erwiderte Dalgliesh.
    »Bis jetzt sind’s vier Frauen. Und diese Valerie Mitchell wird nicht die letzte sein, wenn wir den Kerl nicht bald fassen. Vor fünfzehn Monaten fing er damit an. Das erste Opfer fand man kurz nach Mitternacht in einem Unterstand am Ende der Promenade von Easthaven. Es war zufällig eine Nutte vom dortigen Strich, was er vielleicht gar nicht gewußt hat oder was ihm auch egal war. Nach acht Monaten schlug er abermals zu. Der Zufall kam ihm wohl zu Hilfe, denke ich. Diesmal war’s eine dreißigjährige Lehrerin, die heim nach Hunstanton radelte und auf einem einsamen Teil der Strecke eine Reifenpanne hatte. Dann eine weitere Lücke. Diesmal dauerte es sechs Monate, bis er ein Barmädchen aus Ipswich in die Finger bekam, das nach einem Besuch bei ihrer Großmutter so dumm war, ganz allein auf den Spätbus zu warten. Als dieser ankam, war an der Haltestelle niemand mehr. Ein paar Jugendliche stiegen aus. Da sie angetrunken waren, war ihr Wahrnehmungsvermögen nicht gerade scharf. Sie sagten, sie hätten nichts gesehen und nichts gehört, nur eine Art trauriges Pfeifen, wie sie sich ausdrückten, das vom Wald herüber drang.«
    Er trank einen Schluck Kaffee und redete gleich weiter: »Wir haben ein Persönlichkeitsprofil von unserem Experten beim Sittendezernat erhalten. Ich weiß nicht, was wir damit anfangen sollen. So was hätte ich auch abfassen können. Demnach handelt es sich um einen Einzelgänger, der aus einer zerrütteten Familie stammt, eine herrschsüchtige Mutter hatte, sich anderen Menschen schlecht anschließen kann, zumal Frauen, der impotent, unverheiratet, geschieden sein könnte, der vielleicht von seiner Frau getrennt lebt, einen Groll gegen Frauen hegt, sie haßt. Wir gingen auch vorher nicht davon aus, daß er ein erfolgreicher, glücklich verheirateter Bankfilialleiter ist, mit vier braven Kindern, die kurz vor der Reifeprüfung stehen, oder wie sich das heutzutage nennt. Zum Teufel mit diesen Serienmorden! Kein Motiv, wenigstens keines, das ein psychisch normaler Mensch begreifen kann. Außerdem könnte er von wer weiß woher sein – von Norwich, Ipswich, vielleicht sogar von London. Man darf nicht unbedingt

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