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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Chancen der Polizei bei der Fahndung nach dem Whistler, über seine Ansichten, was mordende Psychopathen anbetraf, über seine Erfahrungen bei Serienmorden. Allein seine Anwesenheit jedoch verstärkte ihre einsetzende Angst, ihr Entsetzen über dieses Verbrechen. Jeder stellte sich wohl das verzerrte Gesicht der Ermordeten vor, den halboffenen Mund, aus dem Haar hervorquoll, die starren Augen, die nichts mehr sahen. Daß er zugegen war, machte dieses Schreckensbild noch einprägsamer, ließ die Einzelheiten schärfer hervortreten. Horror und Tod gehörten zu seinem Metier, und wie ein Leichenbestatter umgab auch ihn die Aura seines Berufes. Er war schon an der Tür, als er sich – warum, wußte er nicht – umdrehte und auf Meg Dennison zuging. »Wenn ich mich nicht täusche, Mrs. Dennison«, sprach er sie an, »erwähnten Sie, daß Sie den Weg vom Alten Pfarrhof hierher zu Fuß gegangen seien. Ich könnte Sie heimbegleiten, wenn Sie auch aufbrechen wollen.«
    Alex Mair wollte schon einwenden, daß er sie selbstverständlich nach Hause fahren würde, aber Meg Dennison erhob sich schwerfällig und erwiderte, fast ein wenig zu hastig: »Dafür wäre ich Ihnen dankbar. Ein Spaziergang täte mir gut, und Alex bräuchte seinen Wagen nicht aus der Garage zu fahren.«
    »Außerdem ist es Zeit, daß Theresa heimkommt«, warf Alice Mair ein. »Wir hätten sie schon vor einer Stunde heimbringen sollen. Ich rufe gleich ihren Vater an. Wo ist sie überhaupt?«
    »Vor einer Minute war sie noch nebenan und deckte den Tisch ab«, sagte Meg Dennison.
    »Ich werde sie schon finden, und dann kann Alex sie heimfahren.«
    Die Party löste sich auf. Hilary Robarts, die die ganze Zeit über entspannt dagesessen war und Lessingham nicht aus den Augen gelassen hatte, stand gleichfalls auf. »Auch ich muß heim«, verkündete sie. »Aber mich braucht niemand zu begleiten. Wie Miles vorhin sagte, der Whistler hat heute abend schon seinen Spaß gehabt.«
    »Mir wäre es aber lieber, wenn Sie noch etwas warten würden«, wandte Alex Mair ein. »Ich begleite Sie, sobald ich Theresa heimgebracht habe.«
    Sie zuckte mit den Schultern, ohne ihn anzublicken, und erwiderte: »Meinetwegen. Wenn Sie darauf bestehen, warte ich eben.«
    Sie trat ans Fenster und schaute in die Dunkelheit hinaus. Nur Lessingham war noch sitzengeblieben und schenkte sich Wein ein. Dalgliesh bemerkte, daß Alex Mair wortlos eine weitere entkorkte Weinflasche auf die Kaminumrandung gestellt hatte. Ob Alice Mair ihm vorschlagen würde, die Nacht in Martyr’s Cottage zu verbringen? Oder würde ihr Bruder ihn später heimfahren? Denn in diesem Zustand konnte er sich nicht mehr ans Steuer setzen.
    Dalgliesh half eben Meg Dennison in ihre Jacke, als das Telephon läutete. Der schrille Ton hörte sich in der Stille unnatürlich laut an. Ihn überkam plötzlich ein Anflug von Angst. Seine Hände erstarrten auf Meg Dennisons Schulter. Sie hörten die Stimme von Alex Mair.
    »Ja, das wissen wir bereits. Miles Lessingham ist hier und hat uns informiert. Ja, ich verstehe. Vielen Dank für Ihren Anruf.« Nach einer Weile sagte Mair noch: »Da scheint der Zufall eine Rolle gespielt zu haben, meinen Sie nicht auch? Wir haben an die fünfhundertdreißig Mitarbeiter. Diese Nachricht wird jedermann in Larksoken zutiefst erschüttern, vor allem die weiblichen Beschäftigten. Ja, morgen bin ich in meinem Büro, falls ich Ihnen irgendwie helfen kann. Ist ihre Familie schon benachrichtigt worden? Ah ja. Gute Nacht, Chief Inspector.«
    Er legte auf. »Das war Chief Inspector Rikkards«, sagte er.
    »Man hat das Opfer identifiziert. Es ist Christine Baldwin. Sie arbeitet … arbeitete als Sekretärin im AKW. Haben Sie sie denn nicht erkannt, Miles?«
    Lessingham schenkte sich abermals ein. »Die Polizei hat mir nicht mitgeteilt, wer die Frau ist«, antwortete er. »Selbst wenn sie’s getan hätte, hätte mir ihr Name nichts gesagt. Nein, Alex, ich habe sie nicht erkannt. Ich muß zwar Christine Baldwin in Larksoken mal gesehen haben, in der Kantine höchstwahrscheinlich, aber was ich heute abend erblickt habe, war nicht mehr Christine Baldwin. Ich versichere Ihnen, ich habe ihr Gesicht nur so lange beleuchtet, bis ich sicher war, daß ich ihr nicht mehr helfen konnte.«
    Ohne sich umzudrehen, sagte Hilary Robarts vom Fenster her: »Christine Baldwin, dreiunddreißig Jahre alt. Seit elf Monaten im AKW beschäftigt. Hat letztes Jahr geheiratet. Wurde in die medizinisch-physikalische Abteilung

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