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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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»Ich habe doch recht, nicht wahr?« fragte sie gleichmütig. »Für die Polizei ist die Person, die eine Leiche findet, zunächst einmal verdächtig.«
    »Nicht unbedingt«, antwortete Dalgliesh.
    Lessingham hatte die Rotweinflasche in die Nähe des Kaminfeuers gestellt. Er beugte sich vor und füllte sein Glas.
    »Vielleicht hätte man mich verdächtigt«, sagte er, »wenn die Umstände nicht für mich gesprochen hätten. Ich habe ja nichts Ungesetzliches getan. Für die letzten beiden Morde habe ich ein Alibi. Die Beamten konnten deutlich sehen, daß ich keinerlei Blutspuren an mir hatte. Außerdem befand ich mich, wie jedermann erkennen konnte, in einem Schockzustand. Und ich hatte weder einen Strick – sie war ja erwürgt worden – noch ein Messer bei mir.«
    »Ein Messer?« wiederholte Hilary Robarts mit erhobener Stimme. »Der Whistler erwürgt seine Opfer doch. Das ist mittlerweile allgemein bekannt.«
    »Ach ja, das habe ich nicht erwähnt. Die Frau wurde erwürgt. Ich nehme es zumindest an. Ich habe ihr Gesicht nicht länger, als es mir nötig schien, mit der Stablampe beleuchtet. Aber der Whistler stopft seinen Opfern nicht nur ein Büschel von ihrem Haar in den Mund, er markiert sie auch noch. Übrigens ist es ihr Schamhaar. Die Markierung habe ich deutlich gesehen. In ihre Stirn war der Buchstabe L geritzt. Das war deutlich zu sehen. Der Detective Constable, der mich vernahm, sagte mir hinterher, daß das sozusagen das Erkennungszeichen des Whistlers ist. Er meinte, das L könnte vielleicht auf Larksoken hinweisen, und der Whistler drückte damit so seinen Protest gegen die Atomkraft aus.«
    »Das ist doch Unsinn«, wehrte Dr. Mair ab. »Im Fernsehen und in den Zeitungen ist nicht berichtet worden, daß die Opfer auf der Stirn mit einem L gekennzeichnet seien.«
    »Die Polizei hat das für sich behalten, es zumindest versucht. Aufgrund solcher Einzelheiten kann sie die Falschgeständnisse aussondern. Es gibt ja schon ein halbes Dutzend. Die Medien haben auch nichts von dem Haar berichtet. Trotzdem ist dieses eklige Detail allgemein bekannt. Ich bin ja nicht der einzige, der ein Opfer des Whistlers gefunden hat. Die Leute reden nun mal.«
    »Soviel ich weiß«, mischte sich Hilary Robarts ein, »ist nicht berichtet worden, daß es sich um Schamhaar handelt.«
    »Das nicht. Auch das hat die Polizei geheimgehalten. Solche Sachen druckt man nicht in einem gutbürgerlichen Blatt. Aber überraschen kann es niemand. Auch wenn der Whistler seine Opfer nicht vergewaltigt, müssen seine Taten irgendwie sexuell motiviert sein.«
    Das war eine der Einzelheiten, die Rikkards am Abend zuvor Dalgliesh mitgeteilt hatte. So etwas hätte Lessingham, zumal bei einer Dinnerparty, besser für sich behalten sollen, dachte Dalgliesh. Seine plötzliche Empfindsamkeit verdutzte ihn. Vielleicht hatte sie Meg Dennisons verstörtes Gesicht ausgelöst. In diesem Augenblick hörte er einen unterdrückten Schreckenslaut. Als er zur offenen Eßzimmertür hinüberblickte, sah er Theresa Blaney im Halbdunkel stehen. Er überlegte, wieviel sie von Lessinghams Bericht mitbekommen haben könnte. Schon ein paar Einzelheiten waren schlimm genug.
    »Hat Chief Inspector Rikkards Sie nicht gebeten, diese Informationen vertraulich zu behandeln?« fragte er, ohne zu merken, wie barsch seine Stimme klang.
    Eine peinliche Stille trat ein. Sie haben glatt vergessen, daß ich auch ein Polizeibeamter bin, dachte er.
    Lessingham drehte sich ihm zu. »Ich behandle sie ja vertraulich. Inspector Rikkards möchte nicht, daß sie an die Öffentlichkeit dringen. Und das wird auch nicht geschehen. Keiner von uns wird sie weitergeben.«
    Diese einzige Frage, die sie daran erinnerte, wer er war, was er repräsentierte, ließ die Stimmung umschlagen, und die von wohligem Schauer geprägte Faszination wich einem betretenen Schweigen. Als er bald danach aufstand, um sich zu verabschieden und der Gastgeberin zu danken, war die Erleichterung in der Runde geradezu spürbar. Ihm war klar, daß die Betretenheit nicht von der Angst diktiert war, er könnte unliebsame Fragen stellen, Kritik üben, die Anwesenden auszuhorchen versuchen. Das war schließlich nicht sein Fall, und die Leute waren nicht verdächtig. Im übrigen mußten sie ja wissen, daß er kein geselliger Mensch war, sich keineswegs geschmeichelt fühlte, wenn er im Mittelpunkt des Interesses stand, während man ihn über Chief Inspector Rikkards’ mutmaßliche Vorgehensweise befragte, über die

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