Vorsatz und Begierde
geachtet, wenn er weniger selbstsüchtig, weniger um sein körperliches Wohlbefinden besorgt gewesen wäre. Aber das, redete sie sich ein, war wohl die Auswirkung einer fünfzigjährigen Verwöhnung durch ein aufopferungswilliges Eheweib. Doch er liebte seine Frau. Er verließ sich ganz auf sie. Er respektierte ihre Ansichten. Wie glücklich die beiden sind, dachte sie, jeder geborgen in der Zuneigung des anderen, im fortschreitenden Alter getröstet durch die Gewißheit, daß sie nicht lange getrennt bleiben würden, sollte ihnen die Gnade versagt bleiben, am selben Tag zu sterben. Aber waren sie wirklich so gläubig? Sie hätte sie gern befragt, wußte aber, daß es überaus zudringlich gewesen wäre. Irgendwann mußten doch auch sie Zweifel überkommen. Auch sie mußten mitunter ihre Gläubigkeit fragwürdig finden, die sie so zuversichtlich morgens und abends demonstrierten. Aber vielleicht war im Alter von achtzig Jahren nur noch das Gewohnte wichtig. Den Körper drängte es nicht mehr nach Sex, der Intellekt war nicht länger am Spiel der Gedanken interessiert. Die kleinen Dinge zählten jetzt mehr im Leben als die großen. Und zuletzt kam wohl allmählich die Erkenntnis, daß nichts mehr wirklich wichtig war.
Ihre Arbeit war nicht schwer. Aber ihr war bewußt, daß sie sich zunehmend mehr aufbürdete, als es in der Anzeige geheißen hatte. Sie ahnte mittlerweile, daß die Hauptsorge der Copleys die Unsicherheit war, ob Meg bei ihnen ausharren würde. Ihre Tochter hatte alle wichtigen arbeitssparenden Geräte – Geschirrspülmaschine, Waschmaschine, Wäschetrockner – angeschafft. Sie standen in einem vorher unbenützten Raum neben der hinteren Tür. Vor Megs Ankunft hatten die Copleys die Geräte nur widerwillig benutzt, weil sie befürchteten, sie könnten sie nicht mehr abstellen und die Maschinen würden die ganze Nacht hindurch vor sich hin rattern, heißlaufen, schließlich explodieren und das ganze Pfarrhaus in die Luft jagen.
Die Tochter, das einzige Kind der Copleys, lebte in einer Villa in Wiltshire und besuchte sie nur selten. Aber sie rief häufig an, meistens zu ungelegener Zeit. Sie hatte auch Meg Dennison ausführlich befragt, um zu erfahren, ob sie für das Leben im Alten Pfarrhof geeignet sei. Seit jenem Gespräch konnte sich Meg nur schwer an die Vorstellung gewöhnen, daß diese selbstbewußte, in Tweed gekleidete, herrische Frau den sanftmütigen alten Leuten nahestand, die sie mittlerweile so gut kennengelernt hatte. Sie wußte auch, daß die beiden – was sie ihr nie anvertrauen würden, vielleicht sich selbst nicht eingestanden – Angst vor ihrer Tochter hatten. Sie gängelte die beiden, aber nur zu deren Wohl, wie sie meinte. Die zweitgrößte Angst der Copleys war, daß sie sich doch noch ihrer häufig, aber aus reinem Pflichtgefühl geäußerten telephonischen Aufforderung beugen mußten und zu ihr ziehen würden, bis man den Whistler endlich dingfest machte.
Im Gegensatz zu der Tochter der Copleys konnte Meg Dennison gut verstehen, warum das Paar nach Simon Copleys Pensionierung all seine Ersparnisse zum Kauf des Pfarrhofs verwendet und sich in hohem Alter mit einer Hypothek belastet hatte. Mr. Copley war in jungen Jahren Hilfspfarrer in Larksoken gewesen, als es die viktorianische Kirche noch gab. In dem scheußlichen Bau mit viel poliertem Fichtenholz, widerhallenden Fliesen und kitschigen Buntglasfenstern waren er und seine Frau getraut worden, und in der kleinen Wohnung über der des Ortspfarrers hatten sie ein Zuhause gefunden. In den dreißiger Jahren war dann die Kirche von einem Sturm teilweise verwüstet worden. Insgeheim war das Kirchenkuratorium froh darüber, weil es nicht wußte, was es mit einem Gebäude anfangen sollte, das ohne jeden künstlerischen Wert war und selbst an hohen Feiertagen höchstens ein halbes Dutzend Kirchgänger anzog. Man riß die Kirche schließlich ab, und der Alte Pfarrhof, den sie einst wie eine Trutzburg beschirmt hatte, der sich aber als standfester erwies, wurde verkauft.
Rosemary Duncan-Smith hatte ihre Ansichten freimütig geäußert, als sie Meg nach dem Vorstellungsgespräch zum Bahnhof von Norwich fuhr. »Ich finde es töricht, daß die beiden da noch immer hausen. Sie hätten sich schon längst nach einer kleinen, bequem eingerichteten Wohnung in Norwich oder einem kleinen Ort mit Geschäften, einem Postamt und selbstverständlich einer Kirche umtun sollen. Aber Vater ist nun mal furchtbar stur, wenn er sich etwas in den
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