Vorstandssitzung im Paradies
andere Norweger irgendwo in der Nähe von Kalkutta. Als Einsatzdauer für die Ärzte und Schwestern waren zwei Jahre vorgesehen gewesen. Man kann nur bedauern, dass die britische Maschine abgestürzt war, denn tausende, womöglich Millionen ungewollter Schwangerschaften würden die Folge sein. Und gar die indische Holzmassenindustrie – wie würde sich das Ereignis wohl auf ihre Entwicklung und internationale Konkurrenzfähigkeit auswirken?
Die Maschine hatte zunächst nach Australien fliegen sollen, um zusätzliche Fracht aufzunehmen, und dann weiter über den Indischen Ozean bis nach Neu Delhi. Ich wäre in Australien ausgestiegen, um eine Reportage über die gierigsten Biertrinker der Welt und andere frustrierte Bewohner des neuen Kontinents zu machen.
Die britische Besatzung war natürlich im Auftrag ihrer Fluggesellschaft an Bord gewesen, und wie Kapitän Taylor sagte, bedeutete der Absturz zumindest für ihn persönlich eine relativ geringe Abweichung von seinen Plänen. Er hatte nämlich vorgehabt, gleich nach seiner Heimkehr – er wohnte in London – einen Monat Urlaub zu nehmen und diesen zusammen mit seiner Familie in irgendeiner schönen tropischen Gegend zu verbringen. Taylor konstatierte, dass er nun auf seine Familie verzichten musste, und leider auch auf gute Unterbringung und gutes Essen nebst Alkohol, gar nicht zu reden von den guten Zigarren, die er nur im Urlaub zu rauchen pflegte, denn bei der Arbeit legten sie sich auf den Atem, und das passte nicht zu den berühmten Trident-Kapitänen.
Am Nachmittag, nach dem wilden Lunch, kam die schwarze Hebamme zu mir, sie wirkte irgendwie unruhig. Als ich sie fragte, was sie bedrückte, sagte sie, dass die schwedischen Krankenschwestern ein lutherisches Begräbnis verlangten. Bei der Havarie waren ja zwei Personen ums Leben gekommen, und ihre sterblichen Überreste waren am Tag nach dem Unglück im Sand vergraben worden. Nun behaupteten die Schwedinnen, dass die beiden Toten anständig zur Ruhe gebettet werden müssten; sie waren in aller Eile verscharrt und nicht richtig ausgesegnet worden.
Ich rief nach Vanninen, erzählte ihm die Sorgen der schwarzen Hebamme und sagte ihm auch gleich meine Meinung dazu: dass das Ausgraben der Toten und die Durchführung eines Begräbnisses eine aufwändige und sicher in gewisser Weise auch groteske Angelegenheit sein und dass dabei schwerlich eine andächtige Stimmung entstehen könnte.
Vanninen ging zu den Schwedinnen, um mit ihnen zu diskutieren. Sie hatten aus ihrer Mitte eine Art Wortführerin, eine gewisse Frau Sigurd, gewählt. Diese war fast fünfzig Jahre alt und sprach ausschließlich schrilles Reichsschwedisch. Sie war es übrigens auch gewesen, die unlängst verlangt hatte, dass an unserem unglücklichen Strand nicht einmal unter den Finnen finnisch gesprochen werden dürfte.
Vanninen versuchte den Schwedinnen klar zu machen, dass die Leichen bestimmt schon stark verwest seien und dass es äußerst bedenklich sei, sie wieder auszugraben. Die Schwedinnen hielten dagegen und sagten, dass sich die Leichen in den paar Tagen noch nicht so sehr verändert haben dürften und dass es außerdem eine weit größere Sünde wäre, sie dort so unwürdig verscharrt liegen zu lassen, als ihre sterbliche Hülle, und sei sie auch ein wenig verwest, richtig zur Ruhe zu betten. Vanninen sagte, dass über solche Dinge im Allgemeinen die Angehörigen und die jeweilige Kirchgemeinde entschieden, hier jedoch keine der beiden Parteien anwesend sei. Darauf sagten die Schwedinnen, dass es ihre Aufgabe sei, die Angehörigen zu ersetzen, da man diese auf Grund der Umstände nicht informieren könne.
Nun gesellte sich der finnische Waldarbeiter Lakkonen dazu, der jahrelang in Nordschweden im Forst gearbeitet hatte; er sagte:
»Hört zu, Weiber. Ich finde es viel wichtiger, Futter ranzuschaffen und von dieser verfluchten Insel wegzukommen, als Tote auszubuddeln. Mit der vom Hai angefressenen Frau könnt ihr meinetwegen machen, was ihr wollt, aber Mikkolas Leiche rührt ihr nicht an!«
Frau Sigurd war entrüstet. Sie bezeichnete Lakkonen als Leichenschänder, der nicht das Recht habe, mit brutaler männlicher Gewalt durchzusetzen, dass dem verstorbenen Mikkola die gebührende lutherische Höflichkeit, der letzte Dienst vorenthalten würde.
Lakkonen regte sich seinerseits auf und sagte, dass Mikkola zumindest noch beim Abflug aus Japan ein rechtschaffener Kommunist gewesen sei und nicht der Kirche angehört habe, was übrigens
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