Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
ein.«
»Ich nenne dich einen Hexer, Bruder!« brüllte Rabenjäger. In seinen Augen glühte leidenschaftlicher Haß. »Ich töte dich, bevor du das Volk vernichtest!«
Er hörte Tanzende Füchsin Eisfeuer anflehen: »Laß mich los. Er ist nicht stark genug. Rabenjäger hat…«
»Nein.«
Rabenjäger umkreiste das Feuer. Die gesunde Hand hatte er zur Faust geballt. Einige junge Krieger gingen hinter ihm, jederzeit bereit zum Eingreifen.
»Haltet sie auf«, brüllte Der der schreit und stürzte vorwärts.
»Nein!« Eisfeuer bekam ihn an der Schulter zu fassen und riß ihn zurück.
»Es sind deine Söhne! Du darfst nicht zulassen …«
»Es ist der Traum!« flüsterte Eisfeuer eindringlich. »Halt dich raus aus Dingen, von denen du nichts verstehst!«
»Aber deine Söhne!«
Gelassen blieb Wolfsträumer stehen. Er fühlte den Blick des Wolfes auf sich gerichtet. Rabenjäger röhrte wie ein verwundeter Bulle: »Ich bring dich um, Bruder!«
Wolfsträumer lauschte den Worten. Seine Seele tanzte mit dem Wolf. Für einen winzigen Moment hatte er den Tanz beinahe vergessen. Jetzt flüsterte er mit den in seinem Blut singenden Pilzen.
»Tu es nicht, Bruder«, bat er inständig und breitete die Arme aus. Rabenjäger blieb vor ihm stehen und starrte ihn fassungslos an. »Komm, komm mit mir. Unsere Zeit mit dem Volk ist vorüber. Komm, folge mir nach Süden. Ich reinige dich. Ich lehre dich zu träumen.«
Die Seelen der umstehenden Leute brannten verängstigt und unsicher. Einige beobachteten neugierig das Geschehen. Sie fühlten sich angezogen von der zu erwartenden Gewalttätigkeit. Andere spiegelten Kummer und Furcht wider. Sie würden bald frei sein, diese Leute, sein Volk.
Leichtfüßig wich Rabenjäger zur Seite. »Sogar verwundet bin ich dir noch überlegen, Bruder. Du glaubst, dein Traum sei stärker als ich? Stärker als die Macht des Weißen Fells? Sieh dich doch an, dein Kopf ist verwirrt! Du willst das Volk führen? Du? Was weißt du denn von dieser Welt, Wolfsträumer?«
»Er hat recht«, murmelte der Wolf. Die Stimme des Tieres hallte von den Bäumen wider. »Deine Zeit ist um.«
»Aber ich … ich muß das Volk vor ihm retten.« Unsicher drehte er sich um und sah in die gelben Augen des Wolfes. »Oder nicht?«
»Du hast das Volk bereits gerettet.«
Rabenjäger brach in schallendes Gelächter aus und zeigte auf seinen Bruder. »Seht ihn euch an! Er redet mit der Luft! Er ist verrückt. Ich habe euch das bereits vor langer Zeit gesagt! Aber ihr seid ihm trotzdem gefolgt.«
Wolfsträumer starrte ihn an. Er entdeckte die tödliche Auflösung in Rabenjägers Seele, die zunehmend schwärzer wurde. »Du hast gewählt.« Mit diesen Worten schritt er um seinen Bruder herum ins Feuer.
Er tanzte mit den Flammen, die nach seinem Fleisch züngelten. Die Seelen der Menschen flackerten vor Entsetzen, als er sich bückte und Kohlen aus dem Feuerloch nahm.
Mit wachsendem Unbehagen verfolgte Rabenjäger das Benehmen des Bruders. Die Schatten seiner Seele reflektierten die ersten Anzeichen von Unsicherheit. Sorgfältig malte Wolfsträumer mit einer brennenden Kohle das Bildnis eines Wolfes auf sein Gesicht, dasselbe Abbild, das er an jenem längst vergangenen Tag in der Wildnis vor dem Mammut-Lager gezeichnet hatte. Als er damit fertig war, streckte er die Hand nach Rabenjäger aus.
Zum erstenmal von Angst gepackt, wich Rabenjäger zurück. Schützend hielt er einen Arm vor das Gesicht.
»Komm, Bruder«, lockte Wolfsträumer und folgte ihm mit weit geöffneten Armen. »Tritt in das Licht.
Umarme mich. Verschmelze deine Seele mit der meinen. Gegensätze kreuzen sich. Auflösung.«
»Nein!« krächzte Rabenjäger und stellte sich ihm entgegen. Mit dem gesunden Arm griff er nach Wolfsträumer, zerrte ihn aus dem Feuer und schleuderte ihn auf die gefrorene Erde. Die Lungen des Träumers schienen zu explodieren. Eine Sekunde lang tanzte er mit dem Schmerz. Mühsam rang er nach Luft.
Mehrere Male schlug Rabenjäger mit der Faust in Wolfsträumers Gesicht. Heiser vor Wut schrie er:
»Du bist ein Hexer! Ich töte dich! Vergrabe dich, damit deine Seele …« Rabenjägers Hand krallte sich um Wolfsträumers Hals und schnürte ihm die Luft ab. Wolfsträumers Lungen klopften heftig.
Tanzend beobachtete er, wie sie blau anzulaufen begannen.
»Es macht nichts.« Unhörbar formte er die Worte mit den Lippen. »Nichts.«
»Hört auf! Hört auf!« Von irgendwoher kam Tanzende Füchsins Schrei.
Wolfsträumer lag
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