Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
Krieger, der eine Gefangene hinter sich herzerrte.
Weiße Esche! Es konnte niemand anderes sein. Er erkannte das wunderschöne Hemd, das ihr Singende Steine geschenkt hatte. Obwohl es die Tracht des Wolfsvolkes war, hatte Weiße Esche die Kleider angenommen. Sie hatte keine andere Wahl gehabt.
Kranker Bauch mußte all seinen Mut aufbieten, um dem fast unwiderstehlichen Drang zur Flucht nicht nachzugeben. Er umrundete den aufgehäuften Leichenhügel und trat auf die inzwischen im Dunkeln liegende Seite der Lichtung hinaus. Ich muß den Verstand verloren haben! Das sind Leute vom Sonnenvolk! Sie essen kleine Kinder! Sie…
»Beeil dich!« Die Stimme schien direkt in der Luft zu schweben.
Er beschleunigte seinen Gang und sprang hastig in den Schutz eines Zeltschattens. Er reckte den Hals und lugte um das Zelt herum. Dann holte er tief Luft und sprintete geduckt in den Schatten des nächsten Zeltes. Schritt für Schritt schlich er voran. Die schnatternden Stimmen näher kommender Krieger warnten ihn. Er ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich zwischen den überall verstreuten Habseligkeiten des Wolfsvolkes zusammen.
Ein paar Schritte von ihm entfernt blieben die Krieger stehen und unterhielten sich weiter. Urin plätscherte auf die Erde.
Bis zum äußersten angespannt, wartete Kranker Bauch auf den Schrei, der seine Entdeckung verkündete. Doch die Stimmen entfernten sich wieder. Vorsichtig hob er den Kopf und vergewisserte sich, daß der Weg frei war. Voller Angst stolperte er in den Schatten des nächsten Zeltes und spähte um die Ecke.
Ein Mann und eine Frau standen vor einem großen Zelt in der Mitte des Lagers. Kranker Bauch überlief es eiskalt. Das mußte das Zelt des Geistermannes sein der Ort, an dem das Wolfsbündel aufbewahrt wurde. Der große Mann trat unbeholfen einen Schritt vor, sein krankes Bein schien ihn stark zu behindern. Er befahl etwas in der Sprache des Sonnenvolkes, und die Frau ging zum Feuer.
Nun blickte der Mann nach unten. Er sprach mit einer gefesselten Gefangenen. Kranker Bauch konnte die Frau nicht richtig sehen, aber er erkannte ihre Stimme Weiße Esche. Sofort verkrampfte sich sein Magen.
Der lahme Mann zog sein langes Hemd über den Kopf und ließ es achtlos fallen. Anschließend nestelte er an seinen Leggings und streifte sie stöhnend über die Beine. Die Leute am Feuer begannen zu tanzen und zu singen.
Was nun? Was soll ich unternehmen? Kranker Bauch starrte zum Nachthimmel hinauf und suchte verzweifelt nach irgendeinem Zeichen der Macht. Doch die Sterne funkelten ungerührt und kühl am samtschwarzen Himmel. Nichts Besonderes ereignete sich, dabei erzählten die alten Legenden stets über Wunder im Augenblick höchster Gefahr.
Der lahme Mann erhob die Hände und rief zum Himmel hinauf. Das Singen im Hintergrund schwoll zu einem lauten Chor an.
»Ich wette, für Geisteraugen glüht seine Seele grün«, brummte Kranker Bauch leise. Der lahme Mann sank auf ein Deckenlager vor dem Zelt.
Kranker Bauch holte tief Luft und schlüpfte eilig weiter. Wenigstens diesmal stand ihm das Glück zur Seite. Er stolperte nicht über seine eigenen Füße, trat auf keinen dürren Ast, und keine verwesende Leiche stellte ihm ein Bein.
Geräuschlos wie im Traum ging er durch das geplünderte Lager, erahnte den Weg zur Rückseite des Zeltes des Geistermannes und lugte unbehelligt um die Ecke. Er lauschte. Weiße Esches verzweifeltes Flehen in der unverständlichen Sprache des Sonnenvolkes tat ihm bis in die Tiefen seiner Seele weh.
Ich komme, Weiße Esche. Halte durch!
Wie kam er um das Zelt herum, ohne ins Licht des Feuers zu geraten? Unschlüssig trat er einen Schritt vor, da durchschoß ein stechender Schmerz seinen großen Zeh.
Kranker Bauch griff hinunter… und grinste. Er packte einen der Pflöcke, mit denen die Zeltwände im Boden verankert waren, und lockerte ihn, dann den zweiten und den dritten. Kranker Bauch löste den Tragegurt und ließ den Beutel vom Rücken gleiten. Dann ließ er sich auf den Boden nieder und schlängelte sich bis zur Zeltwand, um unter der Plane durchzukriechen. Aus dem Innern des Zeltes griff er nach dem Riemen, zog den Beutel herein und warf ihn wieder über die Schulter.
Kranker Bauch kroch zur Tür hinüber und lugte hinaus. Vor ihm lag Weiße Esche. Das Feuerlicht tanzte über ihr festes Fleisch, über ihre vollen Brüste und ihr dichtes Schamhaar. Der Krieger lag leise lachend neben ihr. Weiße Esches Augen blickten unverwandt auf einen
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