Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
Vom Netzwerk:
groß und grimmig wie in meiner Erinnerung.« Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich erinnere mich an dich, Führer Dachsschwanz - du Mörder, Dieb und Entführer.«
    Gelähmt wie ein Kaninchen unter dem Blick einer Mokassinschlange starrte Dachsschwanz in diese riesigen, gehetzten Augen. Sie blinzelte nicht, und ihre Pupillen waren so groß wie ihre Augäpfel, schwarz wie Kohle und so eisig kalt, daß seine Seele erschauerte. Er wußte, die Sternengeborenen tauschten bei den Händlern den Geist von Schwester Datura ein, damit er ihnen beim Durchschreiten des Tores zum Quell der Ahnen half. Aber noch nie zuvor hatte er jemandem gegenübergestanden, der von diesem Geist besessen war. Trotzdem war sich Dachsschwanz ziemlich sicher, jetzt Zeuge dieser Besessenheit zu sein.
    Er räusperte sich und sagte ehrerbietig: »Verzeih, daß wir dich auf deiner heiligen Reise stören, Priesterin. Tharon, der Häuptling Große Sonne, schickt uns, um …«
    Sie trat noch einen Schritt vor und stand nun so dicht vor Dachsschwanz, daß er die Wärme ihres Körpers spürte. »Ich weiß, warum du gekommen bist, und ich weiß, was du in River Mounds angerichtet hast.« Aufflammender Kummer beseelte ihre Worte. Nachdenklich blickte sie ins Nichts.
    »Ja«, sagte sie sanft. »Ich bin mir dessen bewußt, aber es ist seine Schuld! Dachsschwanz hat diese Befehle befolgt, oder?«
    Heuschrecke stotterte: »W-was ist los?« Sie hob ihre Keule, schlagbereit begann sie Nachtschatten und Dachsschwanz wachsam wie eine ihre Beute verfolgende Katze zu umkreisen. Nachtschatten schien davon gänzlich unbeeindruckt; ihre großen, anklagenden Augen wandten sich wieder Dachsschwanz zu.
    Er wich ihrem scharfen Blick aus und sah finster auf das leuchtende Band des Flusses. Hier und da schnellten Fische aus dem Wasser und hinterließen beim Eintauchen glitzernde Ringe. »Du bist dazu geboren, deine Seele schwimmen zu lassen und zu den Geistern zu schicken, Priesterin. Ich bin zum Kämpfen geboren. Nicht aus Haß oder Rache kämpfe ich, sondern weil es die Natur meiner Seele und meine Pflicht ist. Ein Schwan ist ein Schwan. Ein Bär ist ein Bär.«
    Er fühlte ihren bohrenden Blick auf sich gerichtet und wandte sich ihr zögernd zu. Erschrocken beobachtete er, wie das Blut auf seinem Kriegshemd ihre besondere Aufmerksamkeit erregte. Ihre zarte Hand berührte jeden Blutspritzer auf dem Bild des Falken mit solch schmerzhafter Sanftheit, daß Dachsschwanz' heftig hämmerndes Herz seine Brust zu sprengen drohte.
    »Wen von meinen Freunden hast du in Ausübung deiner Pflicht verstümmelt, Dachsschwanz?« fragte sie. »Wen …« Die Schärfe ihrer Stimme schwand, sie neigte den Kopf zur Seite und schien wieder ihrem unsichtbaren Gefährten zu lauschen. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem kleinen Lächeln. »Ja, ich weiß, Rotluchs. Aber er hätte weglaufen können. Ich bin kein Ungeheuer. Sollte er jetzt diesen Wunsch haben, ich halte ihn nicht auf, aber ich bezweifle, daß er den Mut dazu aufbringt. Ein Bär ist ein Bär.«
    Dachsschwanz stand wie angewurzelt da. Atemlos starrte er in Richtung des Unsichtbaren, mit dem sie gesprochen hatte. Er konnte die Augen nicht abwenden. Nachtschatten stürmte an ihm vorbei und rannte in fliegender Hast den Hang zum Fluß hinunter.
    Grüne Esche, eine Angehörige des Blaudecken-Stamms, schlang ihren Umhang aus Kaninchenfell enger um ihre Schultern und beobachtete den über den Fluß-Hügeln aufsteigenden Rauch. Der frostige Atem der Sechs Heiligen huschte sacht über das eisige Wasser des Cahokia Creek und bewegte schwach die wenigen grünen, am Ufer wachsenden Pflanzen.
    Die Leute neben Grüne Esche flüsterten aufgeregt und beschatteten ihre Augen zum Schutz vor Vater Sonnes Glanz. Primel, ihr Bruder, blickte sorgenvoll auf die sich aufwärts kräuselnden grauen Rauchfahnen, die das blauviolette Leuchten der Morgendämmerung verdunkelten. Er war mittelgroß und von feinem Knochenbau. Der Stoff seines grünen Kleides spannte sich über gut ausgebildeten Muskeln.
    »Dachsschwanz blieb keine Wahl«, sagte Nessel mit unheilvoller Stimme. »Er mußte den Tribut für uns eintreiben.«
    Grüne Esche warf einen raschen Blick auf ihren zukünftigen Ehemann. Obwohl er fast alle anderen im Dorf an Größe überragte, besaß er die freundliche Seele eines Hündchens. Er war elf Hand groß und hatte das Gesicht von Schwester Puma: rund, mit einer flachen Nase und scharfen Augen. Das schwarze Haar trug er am Hinterkopf

Weitere Kostenlose Bücher