Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
größten Wonnen in der Liebe finden konnte.«
»Also habe ich recht. Du wolltest nicht, daß alle Welt ihr Lager teilt.«
Er wählte die Worte mit Bedacht: »Nein, das hätte ich sicher nicht gewollt.«
Sie betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Warum habe ich nur das Gefühl, daß du mir nicht alles sagst?«
»Du bist zu lange in nächster Nähe der Macht gewesen. Jetzt kannst du schon in den Seelen lesen.« Er seufzte. »Du könntest sagen, daß sie und die Maske sehr viel gemeinsam haben. Wo der Abendstern auch hinging, waren Streit, Unruhe und Aufruhr die Folge. Aber das hätte ich vielleicht noch hingenommen.«
Sternmuschel fragte: »Du verbirgst mir etwas, Langer Mann. Soll ich Muschelschale danach fragen?«
»Sie weiß es nicht.« Er senkte den Kopf, »Und ich möchte, daß es so bleibt. Irgendwann wird ihr Geist es herausfinden.«
»Ihr Geist?«
»Geister erfahren sehr viel mehr als die Lebenden, mein Mädchen. Sie durchschauen die Lügen der Lebenden.«
»Ich werde ihr nichts sagen. Aber ich muß es wissen. Es ist wesentlich, nicht wahr?«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe so eine Ahnung.«
Langer Mann trat den Schnee mit seinen kleinen Füßen fest. »Ich habe ihren Mann vergiftet. Er war Händler, hatte aus dem fernen Westen Obsidian gebracht. Ich war jung und verliebt - die Macht hatte mich verleitete. Ich glaubte, wenn er…«
»Aus dem Weg wäre?« Sternmuschel vollendete den Satz.
»Ja. Der Clan der Sechs Flöten und mein Clan teilten sich ein Tal. Ich liebte Abendstern schon seit Jahren. Oh, sie war viel älter als ich, aber versteh… sie war die schönste Frau der Welt, und ihre Anziehungskraft betäubte die Sinne der Männer. Das war ihre Art von Macht, und die setzte sie auch ein, um einen der angesehensten Männer von den Plattformpfeifen zu heiraten. Er war ein berühmter Mann, wäre er öfter zu Hause gewesen, wäre vielleicht alles anders gekommen.«
»Also gut, du hast ihn umgebracht. Eine schlimme Tat, würde ich sagen. Aber wenn du so weit gehen konntest - warum hast du sie dann nicht geheiratet?«
Langer Mann trat noch immer den Schnee herunter. »Ich hatte noch nie einen Mann getötet. Die Giftpflanze, die ich mir aussuchte, Wasserschierling, hat eine todbringende Wurzel. Ich machte ihm daraus einen Tee und überdeckte mit Minzblättern den bitteren Geschmack. Ich sah zu, wie er starb.
Wie hätte ich da hinterher noch zu ihr gehen können?«
»Und ihre Schwester?«
»Eine einfache Behandlung mit Gummikraut hat ihre Magenbeschwerden sofort gelindert.« Er schaute auf. »Hör zu, Sternmuschel. Tief in ihrer Seele hat sie diesen Händler geliebt. Sie hat vielleicht ihr Lager mit anderen geteilt, aber ihn hat sie wirklich geliebt wie keinen anderen. Ich bitte dich, sag ihr niemals, was ich getan habe.«
Um ihre Verlegenheit zu verbergen, schaute Sternmuschel auf den Mörser, in dem noch Reste des giftigen Pulvers waren. »Ich brenne es mit Brennholz aus. Hol du inzwischen die Decken von Muschelschale. Dann will ich von Läusen nichts mehr sehen und hören.«
Der Magier ging langsam zu dem mit Rinde gedeckten Haus, aus dem die alte Frau und ihr Hund herauskamen. Silberwasser unterhielt sich mit der alten Frau und streichelte den gebrechlichen alten Hund.
Wie viele Geheimnisse verbirgst du noch in deiner winzigen Seele, Zauberer? Eines ist sicher: Ich werde dich nie mehr unterschätzen.
Als Otter Wellentänzer über das offene Gewässer lenkte, rollte und schwankte das große Kanu.
Windböen und Regengüsse peitschten auf sie ein; sogar Grüne Spinne schien verängstigt. Die Nässe hatte die Knochen, die er auf sein Hemd gemalt hatte, verlaufen lassen, und die Farbreste tropften in einer grauen Schmiere herab.
Die einzigen Geräusche waren das Seufzen des Windes, das Klatschen des Regens auf Holz und Wasser, der Wellenschlag gegen den Bug und das Eintauchen der Paddel.
Eine Fahrt flußaufwärts erforderte ein scharfes Auge und viel Gespür für Wind und Wasser. Otter setzte sein ganzes Können ein, um den Fluß zu beobachten und schnell zu entscheiden, wo die günstigste Fahrtlinie lag. Gewöhnlich fuhren sie in Ufernähe, abseits der sprudelnden Wirbel in der Mitte der Strömung. Aber wegen seiner vielen großen Biegungen mußte man bei Vater Wasser dauernd kreuzen.
Sie kamen gut voran, auch dank des unermüdlichen Einsatzes von Schwarzschädel. Der Krieger hatte ein sehr gutes Gleichgewichtsempfinden und setzte seinen ganzen Körper ein. Für ihn war es wie
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