Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
lesen. Er fand zwei, die am Wasser entlang nach Norden führten.
Mit geballten Fäusten folgte er ihnen. Was dachte sie sich dabei ? Bei den Ahnen, falls er ihr weh tut, schlage ich ihn, daß ihm Hören und Sehen vergeht!
Er steigerte sich so in seinen Zorn, daß er den weißen Sandhügel kaum wahrnahm. Irgendwo würde er auf zwei menschlicher Körper stoßen, und dann…
Plötzlich wirbelte der Sandhügel auf. Otter war starr vor Schreck. Da hörte er gedämpftes Gekicher und eine Stimme: »Wer narrt den Narren?«
»Grüne Spinne?« Otter blinzelte durch den wehenden Sand. »Was machst du hier?«
Der Verdreher setzte sich auf den Sandhaufen. »Ich habe den unterirdischen Wellen gelauscht. Das Problem ist, daß die Leute nicht richtig hinhören. Sie verstopfen alles mit ihren Gedanken, so daß sie nichts hören können. Hast du in letzter Zeit gelauscht, Otter?«
»Ich denke schon.« Er starrte abwesend aufs Wasser.
Grüne Spinne zeichnete Muster in den Sand. »Woher kommen die Wellen? Was treibt sie an? Denk darüber nach. Würdest du aus der Tiefe aufbrechen, nur um schließlich auf einen Strand aufzulaufen?«
Otter atmete tief ein, um sein Herzklopfen zu dämpfen. »Grüne Spinne, was machst du hier draußen?«
Der Verdreher blickte auf. »Mich wundern, Otter. Du hast dich zur Welle gesteigert. Warum?«
»Eine Welle? Was für eine Welle? Wovon redest du?«
»Du hast die ferne Küste verlassen… als eine winzig kleine Kräuselung. Aber im tiefen Wasser wuchs die Welle an, eine Dünung, die alles vor sich anhob. Und jetzt, hier, habe ich beobachtet, wie du über den Strand gerollt kommst, bereit, alles fortzuspülen, und am Ende machst du doch nur einen Spritzer.
Die schimmernde runde Perle wird zu dem großen Fisch fliehen, der wegschwimmen wird, Sieger eines nie geführten Kampfs. Und du, mein Freund, wirst trotz deiner Wut kehrtmachen und geschlagen zum Wasser zurückgleiten, während eine andere Welle über dich brandet.«
Otter brummte: »Schwarzschädel hat recht. Ich wünschte, du würdest nur ein einziges Mal wie ein richtiger Mensch handeln. Kannst du nicht normal reden?«
»Schwarzschädel sagt das nur, wenn er nicht zuhört - so wie du jetzt nicht zuhörst.« Grüne Spinne blickte auf den Sand zwischen seinen Beinen. »Warum sind meine Strände sandig und andere nicht?
Ich meine, woher kommt der Sand?«
Otter hob die Hände. »Also noch einmal von vorn. Was versuchst du, mir mitzuteilen?«
»Was du am härtesten verfolgst, flieht dich am schnellsten.«
»Sie könnte in Schwierigkeiten sein.«
»Sie könnte es nicht sein.«
»Das bedeutet, sie ist es, richtig?«
»Das bedeutet, sie ist es nicht, falsch.«
Otter stützte die Hände auf die Hüften und blickte finster. »Willst du mitkommen und sie suchen?«
Grüne Spinne sprang auf, und der Sand wirbelte in alle Richtungen. Er legte eine Hand auf Otters Schulter. »Geh und suche sie. Du wirst für den Rest deines Lebens friedlich schlafen, froh, daß du die Entscheidung für sie getroffen hast.«
Der Ton des Verdrehers war sanft geworden, als spräche er zu einem unverständigen Kind. Otters Zorn legte sich und wich würgender Angst.
»Welche Entscheidung?«
Die Augen von Grüne Spinne glänzten merkwürdig im Mondlicht. »Einmal sagte ich dir, wie du dich selbst findest. Weißt du noch?«
»Indem ich mich verliere«, erinnerte sich Otter. »Was überhaupt keinen Sinn ergibt.«
»Und wieviel Sinn es ergibt!«
Otter seufzte. »Sag mir, was ich tun soll. Soll ich am Strand weitergehen und sie suchen oder nicht?«
Die Augen von Grüne Spinne sprangen hierhin und dahin, wie ein Schmetterling auf der Flucht. »O ja, geh! Eile! Stürme los! Brülle und tobe, scharre und stampfe! Geh auf deinen Rivalen los und schlagt einander zu Brei!«
Otter war unbehaglich zumute, er drehte sich um und ging zum Feuer zurück. Mit jedem Schritt spürte er die Leere in seiner Seele, fühlte die Niederlage.
Sternmuschel und Langer Mann hatten mitten im Wald gelagert, wo die Nacht so dunkel war wie Sternmuschels Seele. An diesem Ort schien es, als gäbe es auf der Welt nur Regen und Bäume.
Die Knie hochgezogen, das Kinn aufgestützt, lehnte Sternmuschel an einem Baumstamm. Nichts war von ihrem Leben geblieben außer ihrer Tochter. Alles andere - Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte - waren vergangen wie Morgentau in der Sonne. Die Niederlage lag schwer auf ihrer Seele.
Der Zauberer saß ihr gegenüber, zwischen ihnen lagen Silberwassers
Weitere Kostenlose Bücher