Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
schwer, meine Aufgaben zu erledigen, und der Mann, den ich heilen sollte, starb. Sie blieb zur Bestattung; ich blieb auch.
Sie war eine vollkommene Frau! Verstehst du? Sie war die Erfüllung für jeden Mann. Bezaubernd, sinnlich, klug und einfühlsam, einfach, als hätte sie mir der Geheimnisvolle selbst geschickt.«
»Und hast du ihr deine Liebe gestanden?«
Langer Mann senkte den Kopf. »Ja. In der Nacht der Verbrennung. Die Hände im Schoß hörte sie mir zu, dann sagte sie: ›Lieber Langer Mann, deine Worte sind sehr schmeichelhaft und höflich. Ich weiß deine Beredsamkeit und Ernsthaftigkeit zu schätzen. Doch ich bin glücklich verheiratet. So werde ich deine Worte in Ehren halten und hoffe, du wirst das gleiche mit meinen tun.‹«
»Das hat sie sehr schön gesagt«, bemerkte Sternmuschel.
»So hat sie alles getan.« Der Zwerg rollte seinen Hemdsaum hoch.
»Doch ich war nicht damit zufrieden. Ich war der Magier! Mit Hilfe meiner Fertigkeiten bestimmte ich den Weg, den sie nach Norden nehmen würde, und brach einige Tage vor ihr auf. In dem Clanhaus, in dem sie die letzte Nacht vor ihrer Ankunft zu Hause verbringen wollte, erwartete ich sie.
Stell dir ihre Überraschung vor, als sie mich dort sah. Mit ihrem feinen Gefühl verstand sie sofort, was ich vorhatte. Mit vollendeter Beherrschung sagte sie mir, daß zwischen uns nichts sein könne. Und ich begriff, wie ernst sie es meinte.«
»Aber du konntest sie nicht in Ruhe lassen?«
Langer Mann schüttelte den Kopf. »Weißt du, ein Zauberer kann alles bekommen, was er wünscht, Sternmuschel. Die Macht gewährt es ihm. Ich wollte sie, und in jener Nacht besaß ich sie auch.«
»Und sie hat dir nicht die Augen ausgekratzt?«
»Du verstehst anscheinend immer noch nicht. Ein Hexer, ein Zauberer verfügt über Mittel, sich Menschen gefügig zu machen. Ihr erschien es sicher wie ein Traum - und ganz gewiß dachte sie, ich sei ihr Mann. Denn als ich mich mit ihr paarte, sah sie mich mit einer solchen Liebe und Bewunderung an, daß ich den Gedanken nicht ertrug, dieselben Augen könnten mich voller Haß ansehen. Und sie hätte mich mit der ganzen Leidenschaft gehaßt, mit der sie den Rest der Welt liebte.«
»Du hast sie also in diesem falschen Glauben gelassen?«
Er nickte traurig. »Ich sah sie später öfter wieder. Wenn ich dann die Umstände beeinflussen konnte, nutzte ich meine Macht, um sie zu nehmen. Und immer ließ ich ihr die Illusion, daß sie von ihrem Mann geträumt hatte.«
»Du bist ein Scheusal!«
Er spürte den Ekel in ihrer Stimme. »Ich wollte sie besuchen, als ich hörte, daß sie im Sterben lag.
Aber ich kam zu spät. Vielleicht hätte ich sie retten, noch eine Weile am Leben erhalten können. Jetzt ist sie tot, und ihr Geist weiß alles.«
Sternmuschel sagte: »Allmählich beginnst du dir Sorgen zu machen. Du bist kein junger Mann mehr, Magier. Ihr Geist wartet auf dich, ist es so?«
»Du bist eine kluge Frau. Das ist etwas, was mich sehr bekümmert. Ja, sie wartet. Zu viele Geister warten auf mich. Den meisten kann ich mich stellen. Aber wie soll ich ihr gegenübertreten?«
»Und deshalb hat der Geist der Macht dich auf diese Reise geschickt? Erster Mann ist zu einem Handel bereit? Wenn du hilfst, die Maske von Bunte Krähe zu beseitigen, wird Erster Mann dir helfen, die Begegnung mit dieser Frau zu vermeiden, die du… du… geheiligte Ahnen! Ich kann es kaum aussprechen! Du hast sie geschändet.«
Die Augen von Langer Mann waren glanzlos. »Ich glaube, du verstehst nicht. Ich muß ihr gegenübertreten, junge Sternmuschel. Erster Mann wird mir nichts ersparen. Aber vielleicht ist es mir möglich, ein wenig wiedergutzumachen, bevor ich sterbe. Für die meisten kommt die Gelegenheit zu spät. Ich kämpfe darum, wenigstens ein winziges Stück Aussöhnung zu erreichen - damit ich keinen Haß in ihren Augen sehe, wenn wir uns begegnen.«
Sternmuschel schüttelte den Kopf. »Du solltest froh sein, daß sie nicht ist wie ich. Ich würde dir nicht vergeben, und wenn du dir als Buße noch so gute Taten vornehmen würdest.«
Der Blick von Langer Mann schien wieder etwas von seiner unermeßlichen Tiefe zu gewinnen. »Ach, ich weiß nicht. Ein Händler würde sagen, daß jeder etwas besitzt, womit er sich ein wenig Wohlwollen erkaufen kann.«
»Du müßtest ihr etwas geben, das ebenso kostbar ist wie das, was du ihr genommen hast.«
Sternmuschel legte eine Hand zärtlich auf die Decke der schlafenden Silberwasser.
»Ja«, sagte er
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