Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Wunschbild einer Frau.«
»Sie wird mir fehlen. Schade, daß Silberwasser sie nicht mehr kennengelernt hat.« Der vertraute Schmerz schnürte ihr die Kehle zu. Voller Haß sah sie auf das Bündel, in dem die Maske verborgen war.
»Mir auch.« Langer Mann senkte den Kopf und überließ sich seinen Träumen.
»So«, sagte sie mit einem Seufzer, »dann sind wir wieder bei meiner ursprünglichen Frage. Warum du? Ich würde meinen, der Geist der Macht hätte deinen Charakter erkannt und dich in Ruhe gelassen.
Oder wirkten deine Zaubermethoden nicht?«
»Sie haben immer sehr gut gewirkt, Sternmuschel. Zu gut.«
»Aber du bist noch hier, auf der Flucht wie ich. Für dich ist es nicht angenehmer gewesen als für mich.
Kannst du dich nicht fortzaubern oder einen Nebel heraufbeschwören und entwischen?«
Der Magier erklärte ihr nüchtern: »Meine Fähigkeiten habe ich vom Geist der Macht bekommen, Mädchen. Erster Mann zeigte mir, was mich erwartete, ich verstand und nahm sein Angebot an. Was geschenkt wird, muß angenommen werden. Ausgewogenheit bildet den Kern aller Dinge.«
Sternmuschel versuchte, einen bequemeren Platz zu finden. Ihre Füße waren geschwollen und taten weh, sie hatten sich an den regennassen Mokassins wundgerieben.
»Du mußt etwas Schreckliches getan haben, um dies zu verdienen«, behauptete sie beharrlich. »Was meinst du, was das war? Ich habe dir die schlimmsten Dinge, die ich jemals tat, verraten. Und du? Du hast einen Mann vergiftet, weil du seine Frau wolltest… ein Kind gezeugt, bliebst aber nicht bei ihr.
Du hast Menschen gegen Lohn getötet; hast du die Seelen von Säuglingen gestohlen? Welche deiner Taten hältst du für die böswilligste?«
Langer Mann starrte mit leerem Blick ins Feuer, das schildkrötenartige Gesicht ausdruckslos.
»Gerechtigkeit muß sein«, sagte sie. »Wir waren uns einig. Welche deiner Taten würdest du rückgängig machen? Heraus mit der Sprache, Magier, warum bist du hier?«
Die Blätter über ihnen raschelten im Wind, und gleich darauf prasselten Tropfen auf ihre Decke. Kalt und naß.
Dann sagte er mit müder Stimme: »Es ist die Spirale. Kreise in Kreisen. Licht und Dunkel müssen im Gleichgewicht sein. Von allem, was ich getan habe, würde ich heute vieles anders machen.«
»Auch, daß du die Macht in dein Herz gelassen hast?«
»Zum Beispiel.« Sein Lächeln wirkte unnahbar. »Für einen so kleinen Mann wie mich hat sich die Macht in mir zu sehr ausgeweitet. Und ich gebrauchte sie für mich, nur für meine Ziele. Was geschenkt wird, wird auch wieder genommen. Was ich mißbraucht habe, mißbraucht jetzt mich.«
»Was bedeutet das?«
Als er schwieg, stupste sie ihn an. »Sag es! Du hast es angedeutet, dich entzogen und mich irregeführt.
Meine Geheimnisse weißt du jetzt, nun mußt du mir deine sagen! Hat es etwas mit der Maske zu tun?
Ich muß es wissen!« Sie schüttelte ihn. »Sag es mir, Magier!«
Langer Mann nickte. Sie ließ ihn los und wich vorsichtig zurück, denn beinahe hätte sie ihre Tochter geweckt.
Langer Mann verzog den Mund, als hätte er etwas Bitteres gegessen. »Vor etwas mehr als zweimal zehn Jahren wurde ich von einem Langschädelclan gebeten, eine Heilung vorzunehmen. Doch dem Patienten war nicht mehr zu helfen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Ein Leben kann lang oder kurz dauern, bis die Seele entweicht. Das ist alles.«
Langer Mann schloß die Augen, als hätte er Schmerzen. »Sie war kurz vor mir angekommen. Ich erinnere mich, daß mein Herz einen Sprung machte, als ich sie zum ersten Mal sah, und ich mußte sie immerzu anschauen. Ihre Schwester hatte sie rufen lassen. Sie lebte weit im Norden, hatte verwandtschaftliche Beziehungen zu den Langschädeln. Ihre Schwester war mit einem Langschädel verheiratet, und beide stammten von berühmten Langschädelclans ab.«
»Wie ich.«
Er stotterte fast, als er schnell hinzufügte: »Ja, wie du. Ich war bezaubert, völlig besessen von ihr. Ich gebe zu, daß ich viele leidenschaftliche und schöne Frauen gekannt habe. Eine hast du im Gebiet des Blauentenclans kennengelernt - aber diese war anders. Sie war nicht nur schön, sondern sie hatte ein Auftreten, eine Haltung, wie ich es noch bei keiner Frau erlebt hatte.
Wenn sie mich ansah, schmolz meine Seele wie Bienenwachs auf heißem Stein. Sie bewegte sich mit würdevoller Anmut, jede Bewegung ihres Körpers berührte mich tief. Ihre unglaublich dunklen Augen entführten mich in traumhafte Phantasiewelten.
Es fiel mir
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