Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
sind, als ich ein Kind war. Sie betrieben ihre Forschung und verschwanden mit ihren Aufzeichnungen. Zu welchem Zweck? Sie schrieben ihre Dissertationen, promovierten und machten Karriere. Von uns bekamen sie, was sie wollten. Und was haben wir dafür bekommen?« Pause. »Nichts. Überhaupt nichts.«
Dr. Mabry-Catton seufzte. »Glauben Sie wirklich, dass die Einstellung aller Grabungen daran etwas ändern würde? Wenn Ihnen wirklich etwas an Ihren Ahnen liegt, dann sollten wir -«
»Mir liegt an ihnen!« Johnny hielt ihr wieder die Dose vors Gesicht. »Ich will, dass Sie mein Volk in Ruhe lassen. Und wenn nicht -«
Charlie drehte sich um und ging einfach weg.
Es war so ein herrlicher Tag. Er schaute zu den Windbewegten Zweigen empor, wo die Blätter das Sonnenlicht spiegelten. Die Hitze hatte die würzigen Düfte der Kiefern freigesetzt und sie der Brise anvertraut.
Die gereizten Stimmen verstummten … und Charlie vernahm nun etwas anderes. Musik. Wunderbare Musik. Ein leises Zischen wie von fallendem Regen und das Dröhnen des Donners. Bilder fuhren ihm durch den Kopf, Dinge, die er nicht verstand … eine Geburt im Bauch einer Wolke … ein Absturz durch schwärzeste Finsternis … ein Licht, so überirdisch, dass er sich aufs Innigste danach sehnte.
Er ging weiter. Kiefernnadeln knirschten unter seinen Füßen. Unten an einer alten Eiche schimmerte etwas. Er beugte sich hinab und grub es mit den Fingern aus: Es schien ein Schildkrötenknochen zu sein, mit kleinen Narben bedeckt.
Ganz schwach vernahm er Stimmen aus dem Knochen. Er hielt ihn ans Ohr, und ein leises kindliches Lachen hallte durch seine Seele.
»Mr. Weißer Bär«, sagte Pete Samson, »was ist das? Was machen Sie da?«
»Ist da ein Geist drinnen, Großvater?« fragte Johnny eifrig.
Charlie wandte sich zu ihnen um. »Nein«, sagte er sanft und schüttelte den Kopf. »Kein Geist. Nur Erinnerungen.« Er deutete mit dem Knochen auf Dr. Mabry-Catton. »Das ist keine Grabstätte, Doktor. Mein Volk bedauert, dass wir Sie behelligt haben. Graben Sie ruhig weiter.«
»Was?« Johnnys Gesicht lief rot an. »Großvater! Wie kannst du so etwas sagen, wenn sie dieses Haar hier gefunden hat?« Er schüttelte die Plastikdose.
Charlie zuckte die Achseln. »Vielleicht hat sich jemand hier gekämmt, als er vor dem Feuer saß. Das ist mir egal. Aber dieser Knochen ist mir nicht egal. Der ist wichtig für unser Volk.«
Johnny blickte ungläubig auf den Knochen. »Warum?« fragte er missmutig.
Dr. Mabry-Catton sah auf. »Was ist das? Sieht aus wie ein Schildkrötenknochen.«
»Ja«, antwortete Charlie. »Ein Schildkrötenknochen voller Erinnerungen. Hätten Sie etwas dagegen …
könnte ich ihn vielleicht behalten? Ich möchte ihn zum Stamm bringen. Ich glaube, die anderen Ältesten würden ihn sehr gern sehen.«
Sie ging mit wehendem Rock um Johnny herum und sah den Knochen genauer an. Charlie übergab ihn ihr und sah zu, wie sie ihn ernsthaft prüfte. Zwei senkrechte Falten gruben sich zwischen den Brauen in ihre Stirn.
»Versteinert«, sagte sie. »Ohne Zeichnung, ohne Muster.« Sie kniete sich neben das Loch, aus dem Charlie ihn ausgegraben hatte, und fuhr über den Sand. »Oberflächenfund, keine Verbindung zur Ausgrabungsstätte.« Sie sah über die Schulter zu Charlie zurück. »Sicher kein Werkzeug oder Gerät.
Florida ist voller versteinerter Muscheln und Knochen.« Sie gab ihm den Knochen. »Er gehört Ihnen, Mr. Weißer Bär.«
Charlie drückte ihn ans Herz.
Sein Urenkel steckte die Fäuste in die Taschen seiner Shorts; er grollte. Pete Samson sagte kein Wort, er betrachtete nur den Himmel.
»Komm mit, Urenkel«, rief Charlie. »Ich bin müde. Wir wollen heimgehen.«
»Großvater, warte, komm bitte mal her.« Er versuchte, Charlie beiseite zu winken. »Ich möchte erst mit dir darüber sprechen. Hör mich an -«
Charlie hob den Knochen ans Ohr und ging stracks auf den Lastwagen zu. Er hörte ein Geflüster … eines alten Mannes schwache Stimme, melodisch und sanft.
»Großvater?« …
»Stör mich nicht«, sagte Charlie, als er in den hellen Sonnenschein hinausging. »Sonst entgeht mir ein Teil der Geschichte.«
Prolog
Ach ja … Teichläufer. Seltsam, dass du jetzt nach ihm fragst. Ich habe mich nämlich in den letzten Tagen selbst gefragt, ob er wirklich gelebt hat oder ob ich ihn nur erfunden habe. Ich habe in meinem langen Leben so viele Personen erfunden. So machen es die Geschichtenerzähler, weißt du, sie lassen die alten
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