Die Sextherapie: Roman (German Edition)
1
»Hin und wieder solltest du mit jemandem schlafen, der nicht so gut aussieht wie du.«
Shelley sah Briony über ihre vollen, einander gegenüber stehenden Schreibtische hinweg an. »Äh... Was hast du gesagt?« Sie hatte dem Geplauder ihrer Freundin nur mit halbem Ohr zugehört, doch manchmal gab Briony Dinge von sich, die man nicht einfach so auf sich beruhen lassen konnte. »Warum?«
»Weil du auch mal etwas zurückgeben musst«, erwiderte Briony und blätterte die Seite einer Zeitschrift um. »Kennst du nicht die Bewegung ›Einmal am Tag eine gute Tat‹?«
»Schon, aber damit ist doch wohl eher gemeint, jemanden auf einen Kaffee einzuladen oder einer alten Dame über die Straße zu helfen«, protestierte Shelley. »Dazu muss man nicht gleich auf einem Raumschiff-Enterprise-Kongress die Hose runterlassen und ›Beam dich her, Scotty!‹ rufen.«
Briony wollte antworten, doch Shelley unterbrach sie mit einer Handbewegung.
»Was ist denn los mit dir?«
»Ich hab eine Heidenangst.«
»Wegen der Ankündigung?«
»Na klar. Wieso bist du so ruhig?«
Briony zuckte die Achseln. »Lass uns einfach abwarten.«
Shelley biss sich auf die Lippe. Die Stimmung in der Redaktion war angespannter als Joan Rivers’ Gesicht nach einem Lifting. Am Morgen hatten alle Mitarbeiter von der Geschäftsführerin von West End Magazines, ihrer Mutterfirma, eine E-Mail erhalten, in der sie aufgefordert wurden, pünktlich um elf Uhr zu einer Sitzung zu erscheinen. Bei der Besprechung ging es um die Zukunft von Frau mit Herz , der Zeitschrift, bei der Shelley nun schon seit knapp vier Jahren beschäftigt war.
Shelley schob sich ihr störrisches braunes Haar hinter die Ohren und umklammerte dann ihren Kaffeebecher aus Styropor, als befürchtete sie, er könnte davonfliegen. »Glaubst du, Kate ist krank oder so? Sie ist in letzter Zeit so still.«
»Du stehst vielleicht auf der Leitung, Shell.« Briony verdrehte die Augen. »Die hat die Biege gemacht.«
»Du meinst, sie hat gekündigt«, verbesserte Shelley sie, die dieses Abgleiten in die Umgangssprache nicht kommentarlos durchgehen lassen konnte. Ein Charakterfehler, wie sie wusste. Sie würde sicher eines Tages als alte Jungfer mit zwanzig Katzen enden, die Leserbriefe an den Guardian schrieb, in denen sie sich über Tipp- und Zeichensetzungsfehler beschwerte.
»Sie hat einen blauen Brief gekriegt«, fügte Briony hinzu.
»Woher hast du das?«, hakte Shelley nach.
»Was soll sonst das Vorhängeschloss an ihrer Tür?«
Shelley blickte zu dem verglasten Büro hinüber, in dem Kate zweieinhalb Jahrzehnte residiert hatte. Zu Beginn ihrer Laufbahn war das Dekor vermutlich der letzte Schrei gewesen. Überall Glas und Stahl, mitternachtsblauer Teppichboden, Jalousien mit senkrechten Lamellen und unverputzte Backsteinwände. Frau mit Herz hatte als erste Londoner Zeitschrift allen Redakteurinnen einen Computer zur Verfügung gestellt.
Inzwischen wirkte die Ausstattung schäbig, und viele der senkrechten Lamellen lagen, waagerecht und inmitten von Mäuseküddeln, auf dem ausgeblichenen Teppich. Manchmal fragte sich Shelley, ob der Computer wohl noch ein Gerät der ersten Generation war. Jedenfalls sah er aus, als würde er mit einer Dampfmaschine betrieben.
Shelley konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Zeitschrift unmittelbar vor dem Aus stand, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Immerhin hatte sie Kate Hurley unmittelbar nach ihrem Universitätsabschluss die erste Stelle als Journalistin zu verdanken. Zumindest die erste Möglichkeit, für eine Zeitschrift zu schreiben, was nicht zwangsläufig dasselbe war. Seit Menschengedenken war Kate nun schon die Chefredakteurin von Frau mit Herz , in der Branche war sie eine Legende.
»Ich habe Durst. Brauchst du etwas aus der Küche?«, erkundigte sich Shelley.
»Ich habe grausame Kopfschmerzen«, entgegnete Briony. »Bist du so nett und bringst mir einen starken Kaffee mit?«
»Kaffee ist bei Kopfschmerzen genau das Falsche«, widersprach Shelley.
»Wer behauptet das?«
»Alle. Kaffee entwässert doch, oder?«
»Verschon mich mit deinem Scientology-Gequatsche, und besorg mir eine doppelte Aspirin und einen dreifachen Espresso.«
Shelley schlenderte in die schäbige kleine Küche, um die Getränke zu holen. Auf dem Rückweg kam sie an Freya Wormwoods Schreibtisch vorbei. Die Redakteurin für Mode und Lifestyle hob den Kopf. Freya war zwar hübsch und hatte eine unverschämt gute Figur, beging aber den Fehler,
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